Russland lässt die Muskeln spielen

von Redaktion

München – In normalen Zeiten wäre es vielleicht nur ein Manöver, wie es Armeen gelegentlich abhalten. Aber es sind keine normalen Zeiten. Mitten der Ukraine-Krise zeigen Belarus und Russland, wozu sie in der Lage sind. Die USA gehen davon aus, dass Russland für das Manöver 30 000 Soldaten nach Belarus verlegt hat. Auch schweres Militärgerät wurde ins Land von Alexander Lukaschenko gebracht, der seit den brutal niedergeschlagenen Protesten mehr denn je von Moskau abhängig ist: darunter Luftabwehrsysteme vom Typ S-400 sowie Kampfflugzeuge des Typs Suchoi Su-25SM. Einen Schwerpunkt der Übungen bildet die im Grenzgebiet zur Ukraine, aber auch zu Polen gelegene Region Brest.

Offiziell ist alles natürlich ganz defensiv ausgerichtet. Ziel der Übungen sei es, nötigenfalls „externe Aggressionen im Rahmen eines Verteidigungseinsatzes zu stoppen und abzuwehren“, heißt es in Moskau. Doch in Kiew und bei den westlichen Nato-Staaten sorgt man sich eher, dass der Aufmarsch in Belarus ein weiteres Puzzleteil für ein russisches Vorgehen gegen die Ukraine sein könnte. Moskau hat nach westlichen Angaben in den vergangenen Monaten 100 000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. Für möglich wird auch gehalten, dass die russische Seite Ängste schüren will, um die Nato zu Zugeständnissen bei Sicherheitsgarantien zu bewegen.

Von westlicher Seite kommt massive Kritik am Manöver. „Frieden und Stabilität“ in Europa seien gefährdet, warnte die britische Außenministerin Liz Truss während ihres Moskau-Besuchs bei einer Pressekonferenz mit ihrem Kollegen Sergej Lawrow. „Noch ist Zeit für Russland, seine Aggression gegen die Ukraine zu beenden und den Pfad der Diplomatie einzuschlagen.“ Lawrow zeigte sich sichtlich verärgert von dem Auftreten seiner Kollegin.

Parallel zu dem Manöver in Belarus ließ Russland Kriegsschiffe im Schwarzen Meer üben. Das Außenministerium in Kiew protestierte gegen die Sperrung von großen Seegebieten um die von Russland annektierte Halbinsel Krim. Die Sorge des Westens ist, dass sich daraus eine reale Landungsoperation entwickeln könnte. Die „FAZ“ zitiert einen westlichen Geheimdienstler mit den Worten: „Die größte Besorgnis ist, dass sie die Mobilität und Landungsfähigkeit nutzen, um die Marineinfanteristen zur Einnahme des Landkorridors zwischen der Krim und Moldau einzusetzen und Odessa zu isolieren.“

Während solcher militärischer Überlegungen gehen die diplomatischen Bemühungen für eine Entspannung des Konflikts weiter. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte für kommende Woche zwei Reisen an: in die Ukraine und nach Moskau zu Präsident Putin. Er startete am Abend zudem eine Gesprächsrunde mit den Staats- und Regierungschefs der baltischen Staaten in Berlin. Er traf den litauischen Präsidenten Gitanas Nauseda, die estnische Regierungschefin Kaja Kallas und den lettischen Ministerpräsidenten Krisjanis Karins. Die baltischen Staaten, die sich selbst durch Russland bedroht fühlen, fordern im Ukraine-Konflikt eine harte Haltung gegenüber Moskau. „Wir stehen an eurer Seite“, sagte er den Gästen am Abend.

Der Litauer Nauseda äußerte sich kurz vor dem Treffen vor Journalisten enttäuscht über die ablehnende Haltung Berlins zu Waffenlieferungen. „Um ehrlich zu sein, haben wir mehr erwartet“, sagte Nauseda. „Aber wir verstehen natürlich die Gründe.“ Ein großer Teil der Deutschen sei gegen Waffenlieferungen. Er sprach sich dafür aus, die Gaspipeline Nord Stream 2 als „Hebel“ zu nutzen, um einen Konflikt zu vermeiden. „Wir haben uns von Anfang an sehr skeptisch zu Nord Stream 2 geäußert.“ Das Projekt sei „sehr gefährlich“.  mik/cd/afp/dpa

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