Steinmeier vor Wiederwahl

Der Präsident muss lauter werden

von Redaktion

MIKE SCHIER

Der mutigste und wohl auch aufsehenerregendste Akt in der ersten Amtszeit von Frank-Walter Steinmeier war es, sich selbst für eine zweite Amtszeit vorzuschlagen. Ein riskantes, letztlich aber erfolgreiches Manöver: Ausnahmsweise wurde das Amt bei einem Regierungswechsel nicht zum Spielball. In Berlin bleibt kein Stein auf dem anderen, Steinmeier aber bleibt. Die Union wagt nicht mal, einen eigenen Kandidaten – oder vielleicht noch besser: eine Kandidatin – ins Rennen zu schicken.

In der Geschichte deutscher Bundespräsidenten gibt es einige, mit denen man noch heute große Reden assoziiert. Unvergessen: Richard von Weizsäcker zum Kriegsende („Tag der Befreiung“), aber auch der „Ruck“ von Roman Herzog. Selbst der unglückliche Christian Wulff hinterließ mit seinem „Der Islam gehört zu Deutschland“ eine (umstrittene) Botschaft. Zuletzt kämpfte Joachim Gauck überall für „Freiheit“. Und Frank-Walter Steinmeier? Der war zwar viel unterwegs und hielt dabei noch mehr Reden – übrigens keine schlechten –, aber Wirkkraft konnte er als Bundespräsident nicht entfalten.

Wenn sich das ändern soll, wird Steinmeier in seiner zweiten Amtszeit seinen Stil überdenken müssen. Die politische Welt hat sich in Zeiten sozialer Medien verändert. Das heißt nicht, dass der Bundespräsident jetzt twittern sollte, aber allzu viel staatsmännische Zurückhaltung wird schlicht nicht mehr wahrgenommen. Das wäre aber Grundvoraussetzung, wenn man eine nach zwei Corona-Jahren aufgewühlte und von Spaltung bedrohte Gesellschaft einen will. Der Präsident muss lauter werden.

Mike.Schier@ovb.net

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