München – Auch am Freitag herrschte auf den Straßen Berlins Hochbetrieb. Besonders betroffen war die Stadtautobahn 100, und das lag nicht nur am Berufsverkehr. Am Morgen blockierten sieben Aktivisten die Fahrbahn, um für Klimaschutz und weniger Lebensmittelverschwendung zu demonstrieren. Dabei war ihnen jedes Mittel recht. Einige klebten sich am Asphalt fest.
Seit bald drei Wochen sorgen Sitzstreiks in Berlin, München oder Hamburg immer wieder für Chaos und zunehmend für Ärger. Mehrfach zerrten Autofahrer Aktivisten von der Straße, zuletzt musste die Berliner Polizei eine hochschwangere Frau aus dem Stau befreien und ins Krankenhaus bringen.
Nicht jeder in der Koalition findet die Aktionen der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ angemessen, auch wenn das Motiv, ein „Essen-Retten-Gesetz“ und mehr Klimaschutz, auf Zustimmung stößt. „Ich glaube, dass Straßenblockaden unserem gemeinsamen Ziel schaden“, sagte nun Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Für die Umsetzung politischer Ziele brauche man „gesellschaftliche Mehrheiten“, und die gewinne man sicher nicht, „wenn man Krankenwägen, Polizei oder Erzieherinnen auf dem Weg zur Arbeit blockiert“.
Die Aussage ist auch deshalb so brisant, weil sich der Grünen-Politiker nicht nur gegen die Aktivisten stellt, die ein urgrünes Anliegen verfolgen. Er widerspricht auch explizit zwei Parteifreundinnen. Bundesumweltministerin Steffi Lemke nannte es zuletzt „absolut legitim, für seine Anliegen zu demonstrieren und dabei auch Formen des zivilen Ungehorsams zu nutzen“. Am Freitag ging sie gegenüber der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft allerdings auf Distanz: „Um es klar zu sagen: Ich halte diese Autobahn-Blockaden für falsch.“ Auch Parteichefin Ricarda Lang hatte milde geurteilt. Ziviler Ungehorsam sei „ein legitimes Mittel des politischen Protests, wenn er friedlich vonstatten geht“.
Die Grünen ringen erkennbar um den richtigen Kurs in einer Frage, die die Basis gerne deutlich radikaler beantworten würde. Nicht nur innerhalb der Partei gibt es Differenzen, auch in der Koalition wird kontrovers diskutiert. Justizminister Marco Buschmann (FDP) entgegnete Lemke und Lang, dass ziviler Ungehorsam „weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgrund“ sei. „Unangemeldete Demos auf Autobahnen sind und bleiben rechtswidrig.“ Innenministerin Nancy Faeser (SPD) nannte Sitzblockaden auf Autobahnen lebensgefährlich. Friedlicher Protest sei wichtig, „aber niemand hat das Recht, andere zu gefährden“.
Auf mehr Verständnis stoßen die Proteste im Umweltbundesamt. Dessen Präsident Dirk Messner sagte der Funke Mediengruppe, man brauche demokratische Teilhabe und Protest – „aber der muss friedlich sein, damit wir unsere Ziele erreichen können“. Messner, Jahrgang 1962, räumte ein, er sei als Mitglied der Anti-Atom- und Friedensbewegung auch „radikaler“ gewesen, als er sich heute ausdrücken würde.
Die Bundesregierung geht derweil auf dem Verwaltungswege jene Ziele an, die die Demonstranten mit radikalen Mitteln anstreben. Das Landwirtschaftsministerium prüft „haftungs- und steuerrechtliche Erleichterungen“, um Lebensmittelspenden zu vereinfachen. Abzuwarten bleibt aber, ob das Menschen reicht, die sich aus Protest an der Straße festkleben. mit dpa