Iwano-Frankiwsk ist eine Stadt im Westen der Ukraine und die Heimat von Maryan Karpyk. Der 43-Jährige lebt seit 24 Jahren in Deutschland. Zuerst kam er fürs Studium nach Ulm, seit 2003 wohnt der IT-Fachmann im Großraum München. Dort ist er auch Vorsitzender der Ukrainischen Samstagsschule. Im Moment blickt er voll Sorge in sein Heimatland, wo nach wie vor ein Großteil seiner Familie lebt.
Herr Karpyk, wie groß ist Ihre Angst vor einem Krieg in Ihrem Heimatland?
Die aktuelle Entwicklung erfüllt mich natürlich mit großer Sorge. Die Sorge ist aber nicht neu, weil der Krieg nicht neu ist. Seit 2014, seit Russland die Krim annektiert und im Osten verdeckt angegriffen hat, sind in der Ukraine schon über 15 000 Menschen ums Leben gekommen. Und es kommen jeden Monat wieder Tote dazu. Das war den Menschen in Deutschland bisher, glaube ich, nicht so bewusst. Ich bin den amerikanischen Diplomaten sehr dankbar dafür, dass sie das Problem präsenter gemacht haben.
Ihre Eltern und viele andere Verwandten leben in der Ukraine. Wie nehmen diese die ständige Bedrohung wahr?
Meine Familie lebt in der Westukraine in der Nähe der Karpaten. Ich versuche, sie jedes Jahr einmal zu besuchen und in meine Heimatstadt zu gehen. Wegen des Kriegs kommen dort jährlich neue Gräber dazu – das ist erschreckend. Das sind die unmittelbaren Folgen des Krieges. Auf die Bevölkerung selbst wirkt sich vor allem auch der riesige wirtschaftliche Schaden aus. Das Bruttoinlandsprodukt der Ukraine ist um etwa 20 Prozent eingebrochen. Das bekommen die Menschen dort jeden Tag zu spüren.
Sind die Sorgen Ihrer Eltern in diesen Tagen noch größer geworden?
Ich habe mit meinen Eltern gesprochen. Sie stehen unter ständigem Druck, mittlerweile seit acht Jahren. Jetzt ist es noch krasser geworden. So eine Situation wie im Moment gab es noch nicht. Ich denke, inzwischen ist einigen klar geworden, dass die russische Obrigkeit wirklich den Wunsch hat, Zustände wie zu Zeiten der Sowjetunion wieder aufzubauen.
Rechnen Sie mit einem Truppeneinmarsch in den kommenden Tagen?
Ich persönlich bin der Meinung, dass es am 16. Februar nicht dazu kommen wird. Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht generell mit einer Invasion rechne. Putin wird die Ukraine angreifen, wenn die Ukrainer und die westlichen Alliierten Schwäche zeigen, da bin ich mir sicher. Daher muss Deutschland klare Antworten finden und die Ukraine unterstützen – durch die politische Haltung, aber auch durch Waffen. Für viele meiner Landsleute ist es unverständlich, dass Deutschland sich offenbar nicht einmischen will. Es hat ja auch etwas mit Courage zu tun: In einer Demokratie sollte jeder aufstehen und sagen, dass es im 21. Jahrhundert nicht akzeptabel ist, Krieg zu führen.
Wollen Sie im Falle der russischen Invasion in irgendeiner Weise selbst aktiv werden? Holen Sie Ihre Eltern nach München?
Wenn es so weit kommt, werde ich auf jeden Fall aktiv. Mit Spenden. Ich spende schon jetzt regelmäßig an die Ukraine. Meine Eltern haben noch keine konkreten Pläne, nach Deutschland zu kommen.
Interview: Theresa Kuchler