Kiew – Der Besuch des deutschen Bundeskanzlers wurde in Kiew mit Spannung erwartet, denn die Bundesrepublik ist ein wichtiger Verbündeter. Entsprechend der Empfang am Flughafen. Soldaten der ukrainischen Armee standen Spalier, als Olaf Scholz auf der mit einem roten Teppich veredelten Treppe aus dem Flieger stieg. Dass die Soldaten Bajonett aufgepflanzt hatten, mag zum Ritual gehören, birgt in diesen Tagen aber auch eine düstere Symbolik. Wird Russland in die Ukraine einmarschieren? Es ist die Frage, die die Welt gerade in Atem hält.
Mehr als zwei Stunden, deutlich länger als geplant, dauerte das Treffen von Olaf Scholz und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Mit Finanzzusagen in dreistelliger Millionenhöhe demonstrierte Scholz Solidarität mit der Ukraine. 150 Millionen Euro aus einem bereits gewährten Kredit sollen beschleunigt ausgezahlt und ein neuer über weitere 150 Millionen Euro gewährt werden. „Deutschland steht ganz eng an Ihrer Seite“, sagte Scholz. Beim deutschen Nein zu Waffenlieferungen bleibt es aber. Allerdings wird geprüft, ob die Bundeswehr Ausrüstung wie Nachtsichtgeräte, Minenräumgeräte oder Ortungsapparate liefern kann.
Moskau sendet Töne der Entspannung
Heute trifft Scholz den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau. Und dort versuchte man gestern, die Verhandlungstür wieder etwas weiter zu öffnen. In einem offensichtlich genau orchestrierten Treffen mit Präsident Putin sagte Außenminister Sergej Lawrow zu den Erfolgsaussichten der Gespräche mit dem Westen: „Als Chef des Außenministeriums muss ich sagen, dass es immer eine Chance gibt.“
In dem vom Fernsehen übertragenen Treffen fragte Putin seinen Außenamtschef: „Gibt es eine Chance, mit unseren Partnern eine Einigung in wichtigen Punkten zu erlangen oder ist dies ein Versuch, uns in einen endlosen Verhandlungsprozess zu ziehen?“ Daraufhin sagte Lawrow unter anderem: „Unsere Möglichkeiten sind bei Weitem noch nicht erschöpft.“ Die Verhandlungen sollten zwar „nicht unendlich fortgesetzt werden, aber ich schlage vor, sie fortzusetzen und zu verstärken“, betonte der russische Außenminister.
Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu teilte Putin seinerseits mit, dass einige der umstrittenen Militärmanöver der russischen Armee im eigenen Land sowie in Belarus ihrem Ende zugingen. „Einige der Manöver gehen zu Ende, einige werden in naher Zukunft beendet werden. Andere dauern noch an.“
Auch Scholz machte vor dem wichtigen Treffen einen Schritt auf Moskau zu, indem er deutlich machte, dass eine Aufnahme der Ukraine in die Nato aktuell nicht auf der Tagesordnung stehe. Es sei „schon etwas eigenwillig zu beobachten, dass die russische Regierung etwas, das praktisch nicht auf der Tagesordnung steht, zum Gegenstand großer politischer Problematiken macht“.
Dass die Nato eine Erweiterung des Bündnisgebiets nach Osten rechtsverbindlich ausschließt, zählt zu den Kernforderungen Russlands. Die Nato lehnt das ab, weil sie am Prinzip der freien Bündniswahl festhalten will. Selenskyj bekräftigte den Nato-Kurs seines Landes. Als Mitglied der Nato würde man sich sicherer fühlen. „Leider hängt nicht alles von uns ab“, sagte er aber auch. Das Beitrittsziel sei in der Verfassung verankert. „Wann wir dort sein werden, weiß niemand, nicht einmal einige Nato-Mitglieder“, gab er bedauernd zu verstehen. Das Verlegen von Botschaftspersonal kritisierte der ukrainische Präsident. „Es ist ein großer Fehler, dass einige Botschaften in die Westukraine umziehen, denn es gibt keine Westukraine, es gibt die Ukraine.“ Gestern Abend wurde bekannt, dass die USA ihre Botschaftsgeschäfte von der ukrainischen Hauptstadt Kiew in die Stadt Lwiw nahe der Grenze zu Polen verlegen.
Scholz bleibt dabei: Geld ja, Waffen nein
Scholz blieb bei der deutschen Linie: Wirtschaftshilfe ja, Waffen nein. Seit Beginn des Ukraine-Konflikts 2014 sind bereits fast zwei Milliarden Euro aus Deutschland in das Land geflossen. Rüstungshilfe gab es dagegen kaum, Waffen wurden gar nicht mehr geliefert. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hatte am Vorabend des Scholz-Besuchs noch 12 000 Panzerabwehrraketen aus Deutschland gefordert.
Deutliche Differenzen zwischen Selenskyj und Scholz gibt es bei „Nord Stream 2“. Während Scholz den Namen der Gaspipeline seit Mitte Dezember nicht mehr öffentlich in den Mund nahm, sprach der ukrainische Präsident das Projekt gestern auf der gemeinsamen Pressekonferenz offen an. „Wir begreifen klar, dass dies eine geopolitische Waffe ist. Eben deswegen fordert die Ukraine Energie- und Sicherheitsgarantien.“ Selenskyj forderte Scholz auf, den russischen Gastransit durch die Ukraine zu garantieren, der dem Land Milliardeneinnahmen bringt.