Berlin/München – Lothar Wieler gehört zur Corona-Prominenz. Seit das Virus vor rund zwei Jahren in das Leben der Deutschen gekracht ist, erklärt der Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI) Freitag für Freitag die aktuelle Lage – zunächst gemeinsam mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), inzwischen mit dessen Nachfolger Karl Lauterbach (SPD). Doch morgen nimmt Lauterbach seinen Chefberater nicht mit in die Presserunde. Statt Wieler soll diesmal dessen Stellvertreter Lars Schaade dabei sein.
Das muss nichts heißen und wäre normalerweise auch keine große Sache. Ein RKI-Chef hat auch noch andere Termine. Doch zwischen Wieler und Lauterbach stehen die Dinge gerade nicht normal. Der Haussegen hängt schief. Und im Raum steht die Frage: Wird der Minister weiter an seinem Behördenchef festhalten?
Das erste Mal gekriselt hat es schon kurz vor Weihnachten. Wenige Stunden vor der damaligen Ministerpräsidentenkonferenz war Wielers Haus mit Forderungen nach „maximalen Kontaktbeschränkungen“ vorgeprescht, die „sofort beginnen“ sollten. Wer braucht da noch einen Minister, wenn dessen Behörde schon so klare Ansagen macht, fragten sich nicht nur manche Länderchefs. Lauterbach sah schwach aus. Der Vorstoß sei nicht abgesprochen gewesen, beklagte er sich in der Runde. Hinter den Kulissen soll er Wieler später deutlich klargemacht haben, dass er so etwas nicht noch einmal erleben wolle.
Der zweite Akt folgte im Januar. Das RKI hatte von Lauterbach die Befugnis erhalten, selbst zu bestimmen, wie lange Bürger nach einer Corona-Infektion als genesen gelten. Ein medizinisches Detail, das in Pandemiezeiten aber darüber entscheidet, wer sich in diesem Land wie frei bewegen darf – denn Genesene sind Geimpften gleichgestellt. Quasi über Nacht nutzte das RKI seine neue Macht und verkürzte den Genesenenstatus mit sofortiger Wirkung von sechs auf drei Monate. Eine Entscheidung, die auch Lauterbach aus medizinischer Sicht für richtig hält. Nur hatte die Geschwindigkeit des RKI sogar den Minister kalt erwischt. Anders als versprochen, hatte der deshalb auch die Länder nicht informiert. Die waren stocksauer – und Lauterbach stand erneut blamiert da.
Dass Wieler Lauterbach absichtlich bloßstellte, scheint unwahrscheinlich. Der RKI-Chef wird in gesundheitspolitischen Kreisen für seine professionelle Art geschätzt. Wieler sei ein integrer Fachmann, mit dem man gut zusammenarbeiten könne, berichtet einer, der bereits mit ihm zu tun hatte. Dass er etwas hinter dem Rücken des Ministers durchdrücken wollte, passe da nicht ins Bild. Was aber auffällt: Mit dem reinen Politiker Spahn scheint die Kommunikation besser funktioniert zu haben als mit Lauterbach, der im Zweifel immer noch sich selbst für den größten Corona-Experten im Raum hält.
Nun scheint eine Grenze überschritten. Er wolle „tiefgreifende Entscheidungen“ wie die über den Genesenenstatus künftig nur noch selbst treffen, sagte Lauterbach gestern. „Sonst trage ich die politische Verantwortung für das Handeln anderer.“ Druck kommt zudem vom Koalitionspartner FDP. Der designierte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai stellte mit Blick auf den Ärger um den Genesenstatus fest: „Des Vertrauens der FDP kann sich Herr Wieler aufgrund dieser neuerlichen Verfehlung, die ja leider keinen Einzelfall darstellt, nicht mehr sicher sein.“
Im „Spiegel“ war zuletzt zu lesen, dass auch Wieler wütend sei. Er soll sich in seinem Umfeld darüber beschwert haben, dass er in der Genesenenfrage als Hauptschuldiger hingestellt werde, obwohl sich das RKI mit den Fachabteilungen in Lauterbachs Ministerium mehrere Tage darüber ausgetauscht habe. Auch der Zeitpunkt, wann die Entscheidung veröffentlicht werde, sei dabei klar kommuniziert worden. Wieler habe es deshalb nicht für nötig gehalten, den Minister auch noch persönlich zu informieren.
Mit Spahn schien die Kommunikation besser zu laufen