GEORG ANASTASIADIS
Man muss schon auf einem gut dotierten Direktoriumsposten in der Europäischen Zentralbank sitzen, um es zu übersehen: Die Preise, vor allem die Energiepreise, galoppieren. Anders als der EZB-Chefin Lagarde darf es der Politik nicht egal sein, wenn Familien sich keinen Urlaub mehr leisten können, weil die Kosten fürs Heizen und die Fahrt in die Arbeit explodieren. Und wenn die Begeisterung der Menschen für die Klimawende schwindet, weil die – politisch ja ausdrücklich gewollte – Verteuerung der Energie ganze Bevölkerungsgruppen abrutschen lässt.
Die Ampel hat die Brisanz der neuen sozialen Frage lange verschlafen. Jetzt überbieten sich die Koalitionäre gegenseitig mit ihren Ideen: Ein Heizkostenzuschuss für Arme ist beschlossen, auch die EEG-Umlage, die den Strom verteuert, soll zur Jahresmitte fallen. Eine höhere Pendlerpauschale fordert die FDP, ein Energiegeld die Grünen. Nach den Wünschen der SPD soll es nach Einkommen gestaffelt gezahlt werden. Da ist noch viel auszuhandeln. Und auch viel Unfriede ist programmiert: Nach den Wünschen von Klimaminister Habeck sollen Vermieter anstelle ihrer Mieter den Löwenanteil der Heizkostenaufschläge zahlen, die durch die CO2-Bepreisung zustande kommen, je nachdem, wie gut oder schlecht eine Wohnung gedämmt ist.
Dem liegt unausgesprochen die reichlich pauschalisierende Vorstellung zugrunde, dass Vermieter stets auf der Sonnenseite des Lebens stehen, Mieter aber, unabhängig von ihren Energieverbrauchsgewohnheiten, immer schützenswerte Wesen seien. Während die Politik so Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausspielt und zur Kasse bittet, will die Ampelregierung selbst auf ihrem Geldsack sitzen bleiben. Weil der Staat die Mehrwertsteuer auf den steigenden Energiegrundpreis draufschlägt, verdient der Fiskus sogar dann prächtig mit, wenn Putin am Gashahn dreht. Eine auch nur temporäre Senkung der Mehrwertsteuer aber will die Koalition nicht mal erwägen. Das kann nicht ihr letztes Wort sein.
Georg.Anastasiadis@ovb.net