Klima-Protest verspielt Sympathien

von Redaktion

VON STEFAN REICH

München – Irgendwann reicht es einigen Autofahrern. Robust zerren sie die Menschen, die da in orangen Warnwesten auf der Fahrbahn sitzen, zur Seite. Fernsehkameras halten fest, wie Angestellte auf dem Weg zur Arbeit, Handwerker, die zu Kunden müssen, sich ihren Weg bahnen wollen. Doch kaum ist ein Aktivist aus dem Weg, setzt sich ein anderer auf seinen Platz. Eine ganze Weile lang kann die kleine Gruppe so den Verkehr auf einer Abfahrt der Berliner Stadtautobahn aufhalten. Erst die Polizei löst die Blockade und den Rückstau auf.

Zurück bleibt nur ein zu Demonstrationszwecken ausgekippter Haufen von Semmeln, Brezen und Salatköpfen, die die Aktivisten zuvor aus Abfall-Containern gefischt hatten. Denn darum geht es der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“, die seit gut drei Wochen, gerade in Berlin, aber auch in München, Hamburg oder Freiburg ähnliche Blockade-Aktionen organisieren: um Lebensmittel, die im Müll landen, obwohl sie noch genießbar sind.

Sie wollen zum einen die Entkriminalisierung des „Containerns“, also das Herausholen noch genießbarer Nahrungsmittel aus Müllbehältern hinter Supermärkten. Das gilt bisher als Diebstahl. Vor allem aber will die Gruppe ein Gesetze erzwingen, das dem Handel verbietet, genießbare Lebensmittel überhaupt wegzuwerfen. Denn durch unnötig erzeugte Nahrungsmittel entstünden vermeidbare Treibhausgase.

Den Aktivisten erscheint ihr Anliegen so dringlich, dass sie dafür die eigene Gesundheit riskieren. „Das Zeitfenster zum Handeln gegen den Klimawandel“ sei eng, sagt Tobias März, einer der Sprecher der Gruppe. So kleben sich Aktivisten vereinzelt auch die Hände am Asphalt fest. Sanitäter müssen mit Lösungsmitteln den Kleber entfernen, bevor die Polizei die Blockaden auflösen kann.

Ermutigt war die kleine Gruppe, die heute wohl wenig mehr als 100 Aktive zählt, von ersten Erfolgen im Herbst. Mit einem Hungerstreik erreichten sie die Zusage des damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz für eine Podiumsdiskussion. Doch Protestforscher zweifeln, ob das aktuelle Ziel – die schnelle Verabschiedung eines Gesetzes gegen Lebensmittelverschwendung – so erreichbar ist. Sie warnen: Je radikaler der Protest, desto geringer die Unterstützung.

Der Soziologe Dieter Rucht sagte dem „Spiegel“, Protest müsse vorrangig die Verursacher eines Missstandes treffen, in dem Fall also etwa den Einzelhandel oder die Lebensmittelindustrie. Das Dilemma sieht auch Tobias März. „Wir bekommen immer mehr Aufmerksamkeit, leider aber mehr für die Protestform als für die Anliegen.“ Sie wollen niemanden gefährden, teilen die Aktivisten mit. Doch schon bei einer der ersten Aktionen soll ein Notarzt im Einsatz blockiert worden sein. Das machte es auch potenziellen Sympathisanten schwer, sich nicht zu distanzieren.

Klare Unterstützung in der Politik gibt es jedenfalls nicht für die Gruppe. Eigentlich steht eine verbindliche Reduktion der Lebensmittelverschwendung im Koalitionsvertrag der Ampel. Seit die Aktivisten Ultimaten stellen und die Blockaden ausweiten, ist aber selbst die anfängliche grüne Sympathie dahin. „Total egal, wer was will, eine Demokratie lässt sich nicht erpressen“, twitterte der grüne Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir.

Ähnlich in der CSU: Auch hier waren bei mehreren Politikern Sympathien gereift, neue Wege gegen das Lebensmittel-Wegwerfen im Handel zu gehen. Nun überwiegt aber Ärger über die Aktivisten. „Die Versammlungs- und Meinungsfreiheit enden dort, wo das Strafrecht beginnt“, sagt Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU). Niemand dürfe andere in Gefahr bringen „und zum Beispiel Rettungskräfte blockieren“.

Laut Eisenreich sehe die „Mehrheit der Justizminister“ derzeit auch keinen Anlass, um das Straf- oder Zivilrecht beim „Containern“ zu ändern. Man müsse etwa auch Gesundheitsgefahren bedenken. Er regt an, die Regeln so zu ändern, dass große Lebensmittelanbieter übrige Produkte einfacher an Tafeln für Bedürftige spenden können.

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