In dem Buch „Future War“ (Langen Müller Verlag) zeichnen Militär-Experten ein Szenario von künftigen Kriegen mit künstlich erzeugten Coronaviren und Cyber-Attacken. In der Ukraine-Krise scheinen sich viele der düstren Prognosen schon zu bewahrheiten – Russland begleitet seinen militärischen Aufmarsch mit vermehrten Cyber-Attacken. Unsere Zeitung sprach mit einem der Autoren, dem Ex-Befehlshaber der US-Armee in Europa, Generalleutnant a.D. Ben Hodges.
Wird Putin die Ukraine überfallen?
Ich glaube nicht, dass er die Ukraine erobern will. Er hat den Westen jetzt zusammengeschweißt, auch im Kreml gibt es keinen Zweifel mehr, dass beispiellos harte Sanktionen drohen würden.
Hätte die Ukraine militärisch eine Chance?
Es würde ein langwieriger, blutiger Krieg mit tausenden von Toten und großem Leid der Zivilbevölkerung. Hunderttausende Flüchtlinge würden in die EU fliehen. Russland ist im Schwarzen Meer klar überlegen – aber Bodentruppen hätten keinen so großen Vorteil gegenüber den Ukrainern. 150 000 Soldaten klingt erst mal viel – aber das sind nur zweimal so viele Menschen, wie sie in die Münchner Allianz Arena passen! Und die Ukraine ist ein riesiges Land – sie könnten Kiew nicht erobern, allenfalls einkesseln. Und der Widerstand würde auch nach einer Niederlage weitergehen.
Falls Putin die Ukraine also nicht erobern will – warum dann dieser gewaltige Militär-Aufmarsch?
Er will die Ukraine erwürgen wie eine Boa constrictor! Schon jetzt kann Putin mit seiner Schwarzmeer-Flotte alle ukrainischen Exporte blockieren. Er will die ukrainische Wirtschaft zerstören, um so den Sturz Präsident Wolodymyr Selenskyjs zu erwirken und eine Regierung in Kiew zu bekommen, die nachgiebiger und weniger pro-westlich ist. Das kann Putin auch ohne großen Krieg erreichen.
Was bringt das Putin?
Ich glaube, Putins eigentliches Ziel ist die formale Machtübernahme in Belarus! Ich gehe davon aus, dass der belarussische Präsident Lukaschenko noch im Sommer in Rente geschickt wird und dann der Anschluss von Belarus an Russland erfolgt. Putin wird Staatsoberhaupt dieser Union und muss sich nicht mehr mit Wahlen herumschlagen. Die Ukraine soll zum „failed State“ werden, der so am Boden liegt, dass er nie EU-Mitglied werden kann. Und dann wird die Ukraine eine Art Belarus 2.0.
Was ist die richtige Strategie dagegen?
Geschlossenheit des Westens ist jetzt wirklich wichtig. Der Druck muss aufrechterhalten werden, die Tür für Dialog offen bleiben. Die Tatsache, dass China auf der Sicherheitskonferenz die Souveränität der Ukraine betont hat, wird Putin nicht kaltlassen. Aber wir müssen auch der Ukraine helfen! Ich traf Präsident Selenskyj vor drei Tagen, und er hat mich sehr beeindruckt, als er sagte: Ich brauche keine US-Soldaten, aber das nötige Geld, damit wir uns selbst verteidigen können. Deutschland hat hier eine Schlüsselrolle, auch als moralische Autorität.
Hat Putin mit seiner Kritik an der Nato-Osterweiterung nicht einen Punkt?
Er benutzt das Nato-Thema nur, aber das, was Putin wirklich fürchtet, ist das Vordringen liberaler Demokratien in seinen Machtbereich. Doch die Aussage „Ihr dürft nicht wohlhabend wie die Estländer werden“ ist der eigenen Bevölkerung schwerer zu vermitteln, als die Angst zu schüren, ein Verteidigungsbündnis wie die Nato würde sie bedrohen. Die Nato hat sich ja nicht „ausgedehnt“ und wie ein Imperium andere unterworfen – Staaten wie Polen oder Estland wollten so schnell wie möglich unter einen Schutzschirm gelangen, was viel über ihr Verhältnis zu Russland aussagt. Weder Moskau noch Washington können im 21. Jahrhundert souveränen Staaten etwas vorschreiben – insofern wären US-Versprechen an Russland wertlos.
Interview: Klaus Rimpel