München – Sahra Wagenknecht scheint sich da sicher. „Russland, das ist ja relativ deutlich, hat faktisch kein Interesse, in die Ukraine einzumarschieren. Natürlich nicht.“ Die Aggressivität, mit der die Amerikaner einen russischen Angriff herbeiredeten, sei hingegen „fast schon beschwörerisch“, sagt die Linke-Politikerin am Sonntagabend in der ARD-Talkshow „Anne Will“. Einen Tag später sendet Russland Truppen in die Ostukraine.
Nun kann man Wagenknecht schwer vorwerfen, dass auch sie nicht weiß, was Russlands Präsident Wladimir Putin als Nächstes vorhat. Doch auffälig ist, dass sie und andere Mitglieder ihrer Partei immer wieder um Verständnis werben für den Mann, der derzeit die größte Bedrohung für den Frieden in Europa ist – selbst wenn die Partei- und Fraktionsspitzen der Linken das Verhalten Russlands im Konflikt mit der Ukraine gestern scharf kritisieren.
Da sind zum Beispiel alte Bekannte wie Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine, der dem Westen in der Ukraine-Krise „Lügen“ vorwirft und sagt: „Der Westen muss zum Putin-Versteher werden.“ Oder Gregor Gysi, der Russland „einen Anspruch auf einen gewissen Sicherheitsabstand“ zum Westen zugestehen will. Zudem plädiert Gysi dafür, neben Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Altkanzler und Putin-Intimus Gerhard Schröder (SPD) im Auftrag der Bundesregierung mit dem Kreml verhandeln zu lassen. Gerhard Schröder verdient inzwischen viel Geld als Lobbyist für den russischen Energiesektor.
Noch deutlicher wird Sevim Dagdelen. Die Obfrau der Linken im Auswärtigen Ausschuss wirft dem Westen auf einer Kundgebung vor wenigen Tagen „Kriegshetze“ und „Kriegstreiberei“ vor. Die USA betrieben einen „Informationskrieg“ gegen Russland – und die deutschen Medien würden deren Lügen auch noch bereitwillig verbreiten. „Ja sind wir denn in einem totalitären Staat?“, fragt Dagdelen – gemeint ist Deutschland, nicht etwa Russland.
Doch Putin-Versteher gibt es nicht nur im linken Lager – auch weit rechts bei der AfD sind sie zuhause – und ließen sich schon nach dem Anschlag auf den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny im August 2020 für PR-Aktionen des Kreml einspannen. Im Dezember 2020 hatte Parteichef Tino Chrupalla bei einem Treffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow die Sanktionen gegen Russland verurteilt. Drei Monate später besuchte erneut eine AfD-Delegation Moskau – mit dabei unter anderem Fraktionschefin Alice Weidel.
Auch jetzt kann Putin auf Rückhalt aus der AfD zählen. Die aktuelle Entwicklung im Osten der Ukraine sei zu bedauern, teilen der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland und der außenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Petr Bystron, gestern mit. „Wir dürfen aber jetzt nicht den Fehler machen, Russland allein die Verantwortung für diese Entwicklung zuzuschreiben.“ Durch die vorangetriebene Osterweiterung der Nato nach dem Ende des Kalten Krieges habe der Westen „die legitimen Sicherheitsinteressen Russlands verletzt“. Die jetzige Situation sei nur die Folge davon.
SEBASTIAN HORSCH