München – Er zelebriert den Moment, die Macht über Entscheidung und Verkündung. Drei Tage hat Markus Söder an seinem neuen Kabinett gebastelt, Gespräche unter strengster Geheimhaltung. Er hat sondiert, abgewogen, fast alle im Unklaren gelassen. Den letzten Kandidaten klingelt er erst am Morgen um 6:35 Uhr aus dem Bett, um ihm die Berufung mitzuteilen. Und als er seine Liste am Vormittag schließlich allen CSU-Abgeordneten vorliest, gilt auch noch Handy-Verbot im Raum. Damit ja niemand einen Pieps an die Presse weiterträgt, brummen 80 Mobiltelefone in einem Sperrholzschrank vor dem Saal.
Das wirkt, als genieße da einer den Höhepunkt seiner Macht, das Zuteilen und Wegnehmen von Posten. Söders Spielchen geht auf, erst Sekunden vor seiner Pressekonferenz sickern die Personalien durch. Doch die Realität ist vielschichtiger: Für ihn geht es darum, die Kabinettsumbildung als großen, wuchtigen Wurf zu präsentieren – denn er hat nur den einen, und seine Lage ist in Wahrheit äußerst ungemütlich.
Das neue Kabinett soll die CSU aus dem Elend von 35 bis 38 Prozent ziehen. Söder, seit den Kontroversen um Klima und Corona wieder umstrittener, wechselt die Strategie. Jetzt sucht er starke, wortgewaltige Minister um sich. Solche, die in Bayern für ihre Themen brennen, aber das Zeug haben, in der ARD-Talkshow einen rotgelbgrünen Bundesminister zu zerpflücken. Solche, die daheim in ihrem Regierungsbezirk eine große Nummer sind, keine Blässlinge, gerade mit Blick auf die Landtagswahl im Herbst 2023 – eine „Schicksalswahl“, sagt Söder.
Drei Minister aus Süd- und Ostbayern wechselt er dafür ein. Der erste kommt von Außen, es ist der Deggendorfer Landrat Christian Bernreiter (57). Man kennt ihn aus der Flüchtlingskrise, als sogar die Kanzlerin seinen Rat schätzte. Er übernimmt Bau/Wohnen/Verkehr, Ministerin Kerstin Schreyer muss gehen. „Ist ’n super Typ“, sagt Söder über ihn, „und unser lokaler Held in Niederbayern“. Ziel: Bernreiter soll endlich den Wohnungsbau in den Städten anschieben und gleichzeitig Kümmerer für den ländlichen Raum sein; in beiden Bereichen verlor die CSU dramatisch an Zuspruch.
Wissenschaft und Hightech übernimmt Markus Blume (47). Eigentlich laufen Milliardenprogramme für Forschung und Technologie an, bemerkt hat das im Land aber kaum jemand. Der scheidende Minister Bernd Sibler, menschlich hoch respektiert, verbrachte zuletzt viel Zeit mit Corona-Beschwernissen der Kulturszene und der Frage, ob Laien-Oboisten 1,0 oder 1,5 Meter Abstand zueinander halten müssen. Blume will nun „das Innovations-Ministerium“ daraus machen. Das ist auch eine Kampfansage an Freie-Wähler-Minister Hubert Aiwanger, der seine Wirtschaftspolitik sehr bodenständig interpretiert.
Dritte Schlüsselstelle: Das Sozialministerium übernimmt Ulrike Scharf (54), eine der wenigen modernen Frauen in der Fraktion, sie ist auch Chefin der Frauen-Union. Die Erdingerin, eloquent, charmant, aber hartnäckig, soll die Familienpolitik der CSU (auch für Alleinerziehende wie sie selbst) präsentieren und prägen. Sie soll praktisch die „neue Barbara Stamm der CSU“ werden, ein soziales Gewissen. Söder revidiert damit eine Entscheidung von 2018, als er Scharf aus dem Kabinett geworfen hatte. Dass sie damals nicht in Selbstmitleid versank, habe ihn „beeindruckt“, sagt Söder heute. Für sie muss Carolina Trautner weichen.
Der Rest des Umbaus: Innenminister bleibt, nun seit anderthalb Jahrzehnten, Joachim Herrmann (65). Er kandidiert im Herbst 2023 wieder. Sein Staatssekretär Gerhard Eck hört auf, Nachfolger wird der fränkische Landtagsabgeordnete Sandro Kirchner (46); das war der, dessen Handy um 6:35 Uhr klingelte.
Die Freien Wähler nehmen Söders Umbau zur Kenntnis. Selbst Personal tauschen wollen sie nicht. Die Opposition empfängt mehrere Minister, zumindest Quereinsteiger Bernreiter, höflich. Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze spottet allerdings über das „Bäumchen-wechsel-dich“. Bayern erlebe nun binnen vier Söder-Jahren die dritte Sozialministerin und den vierten Bauminister. Und Söder, so sagt sie, beherrsche nur „Führen durch Angst und Führen durch Druck“.
Bernreiter ist der vierte Bauminister – in vier Jahren