Der ukrainische Botschafter warnt vor einem „neuen Weltkrieg“. Eine begründete Sorge? Nein, sagt Carlo Masala von der Bundeswehr-Hochschule in Neubiberg. Er erklärt, welche Pläne Putin stattdessen verfolgen könnte.
Herr Masala, im Süden von Belarus campieren tausende russische Soldaten. Was hat Putin dort vor?
Die Ukraine ist jetzt zwischen drei Fronten eingekesselt. Die Position in Belarus ist für viele militärische Szenarien sinnvoll. Von dort lässt sich Kiew am einfachsten in Beschuss nehmen. Aber es geht dabei nicht mal unbedingt um die Besetzung der Ukraine – sondern darum, noch mehr Druck auszuüben
Könnte Putin nicht bereits seine nächste Machtübernahme in Belarus planen?
Das braucht er nicht. Lukaschenko ist ohnehin schon Putins treuer Verbündeter. Belarus hat sich ökonomisch und politisch zunehmend von Russland abhängig gemacht. Vor allem seit der inszenierten Flüchtlingskrise an der polnisch-belarussischen Grenze und den gefälschten Wahlen in Belarus. Jetzt ist Lukaschenko auch in eine militärische Abhängigkeit geraten – für Putin ein willkommener Nebeneffekt der Ukraine-Krise.
Die Angst wächst aber auch im Baltikum.
Die Nato muss jetzt ihre Strategie zur Verteidigung des Baltikums überarbeiten. Denn die bisherigen Pläne hatten keinen möglichen Beschuss aus Belarus auf der Karte. Ich halte es aber für ausgeschlossen, dass Russland die baltischen Staaten wirklich angreift. Denn dann würde er sich im Krieg mit der Nato befinden. Und das wäre ein Krieg mit einer nuklearen Komponente.
Und dafür ist Putin nicht verrückt genug?
Putin ist nicht verrückt. Er ist ein rationaler Stratege, kein Selbstmordattentäter.
Wie sieht es umgekehrt aus: Könnte die Nato jetzt eingreifen?
Nein, das Szenario eines Weltkriegs ist absolut unrealistisch. Kein Mensch wird der Ukraine zur Verteidigung herbeieilen.
Also ist die Ukraine auf sich gestellt?
Natürlich ist es sinnvoll, die Ukraine zu unterstützen: politisch, wirtschaftlich und auch ein Stück weit militärisch – indem man der ukrainischen Armee hilft, sich selbst zu verteidigen. Genauso wie die Suche nach diplomatischen Lösungen. Aber letzten Endes muss man realisieren: Putin sitzt am längeren Hebel. Er hat es in der Hand, ob er eskalieren oder deeskalieren will.
Den Stopp von Nord Stream 2 hat Putin sicherlich einkalkuliert. Interessieren ihn die westlichen Sanktionen überhaupt?
Alle Sanktionen, über die gerade gesprochen wird, hat die russische Föderation bereits eingepreist. Es gibt nichts, das Putin noch überraschen könnte.
Trotzdem müssen die Sanktionen doch schmerzhaft sein, oder nicht?
Die Geschichte zeigt: Wenn geostrategische Interessen überwiegen, sind Staaten bereit, einen hohen ökonomischen Preis zu zahlen. Das zeigt sich hier sehr deutlich. Außerdem könnte die EU durchaus noch härtere Sanktionen beschließen. Bislang werden nur Mitglieder des russischen Unterhauses und Separatisten direkt sanktioniert, aber man scheut sich davor, die große Kanone auszufahren: Das wäre etwa der Ausschluss aus dem internationalen Zahlungsnetzwerk Swift. Oder persönliche Sanktionen speziell gegen Putin und andere Kreml-Mitglieder.
Warum wartet man damit?
Weil wir gerade zwar einen Bruch des Völkerrechts sehen, aber noch keine massive militärische Invasion. Geopolitisch hat sich der Ist-Zustand der Ukraine nicht groß verändert. Vielleicht hält sich der Westen die härteren Sanktionen in Reserve, falls die Situation weiter eskaliert.
Was hätte der Westen anders machen können?
Man hätte früher begreifen müssen, dass manche Staaten bereit sind, für ihre Interessen einen hohen Preis zu zahlen. Auch einen militärischen. Putin hat seine Skrupellosigkeit seit Jahren klar dargelegt, aber der Westen wollte nicht hören und hat lieber auf wirtschaftliche Kooperation gesetzt. Interview: Kathrin Braun