München – Sie spricht von einem „historischen Versagen“. Annegret Kramp-Karrenbauer zeigt mit Blick auf ihre Amtszeit als Verteidigungsministerin Reue. „Ich bin so wütend auf uns“, twittert sie. Man habe die Lehre von Schmidt und Kohl vergessen: Verhandlungen hätten zwar „immer den Vorrang“, aber man müsse gleichzeitig militärisch so stark sein, „dass Nichtverhandeln für die andere Seite keine Option sein kann“.
Für Putin jedenfalls war „Nichtverhandeln“ eine Option. Und die militärische Stärke Deutschlands steht auf dem Prüfstand. Die Bundeswehr stößt bereits mit Blick auf die Verstärkung der Nato-Ostflanke an ihre Grenzen, sagte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Auch Heeresinspekteur Alfons Mais meint: „Das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da.“ Dass ein ranghoher Soldat derart offen seine Kritik ausdrückt, ist ungewöhnlich.
„Ich kann den General gut verstehen,“ sagt FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). Die Bundeswehr sei lange unterfinanziert gewesen – und die Große Koalition habe „nichts unternommen, um die Bundeswehr zu stärken“.
Seit Jahren fordern die USA von Deutschland und anderen Nato-Mitgliedsstaaten höhere Verteidigungsausgaben. Zwei Prozent des BIP sollen sie für die Verteidigung ausgeben. In Deutschland fehlte bislang aber der politische Wille für dieses Ziel.
Gestern traf sich der Verteidigungsausschuss im Bundestag zu einer Sondersitzung. Thema ist auch die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr. „Die Lücken bei der Bundeswehr müssen schneller als geplant geschlossen werden“, sagt Wolfgang Hellmich, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD, unserer Zeitung. „Die Forderungen der Nato müssen erfüllt und Soldaten, mit dem was sie brauchen, ausgestattet werden.“
FDP-Politiker Marcus Faber meint: Mittelfristig müssten zwar „alle Länder entsprechende Maßnahmen planen“. Aber die Fragen nach einem schnelleren Aufrüsten und einer offensiveren Verteidigungspolitik sollten nicht jetzt geklärt werden. „Diese Woche geht es um Maßnahmen und Hilfen für die Ukraine – nicht um den deutschen Verteidigungshaushalt.“
Der Ex-Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels sieht das anders. Man müsse jetzt über eine Strukturreform der Bundeswehr sprechen. „Für Europa ist das ein Nine-Eleven-Moment“, sagt er. „Das ist ein Tag, der alles verändert. Man sieht plötzlich etwas, das man nie mehr erwartet hat – dass noch mal ein Angriffskrieg in Europa stattfindet.“ Er spricht von „großen Lücken“ in der Ausstattung der Soldaten. Es brauche weniger Kommandobehörden und mehr Truppen.
„Ich habe seit Jahren darauf hingewiesen, dass wir in Europa mehr für unsere gemeinsame Sicherheit ausgeben müssen“, sagt Florian Hahn (CSU). Nur durch „eigene militärische Stärke“ könne man Akteure wie Putin „wieder an den Verhandlungstisch zu bekommen“.
Die Linken halten hingegen nichts von höheren Militärausgaben. Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato sei „ein falsches Mittel“, sagt Ali Al-Dailami, Vize-Fraktionschef der Linken. Er befürchtet „Aufrüstungsspiralen“, die zu „neuen Konfrontationen und Konflikten“ führen würden.