Die Kanzlerpartei hat Gesprächsbedarf

von Redaktion

Bei SPD und Grünen gibt es Widerstand gegen den Kurswechsel in der Verteidigungspolitik

Berlin – Selten hat es bei einer Regierungserklärung im Bundestag so viel fraktionsübergreifenden Beifall gegeben wie am Sonntag für Olaf Scholz (SPD). Doch als der Bundeskanzler angesichts des russischen Einmarsches in die Ukraine ankündigte, dass dauerhaft mehr als zwei Prozent des Haushaltes in die Verteidigung fließen sollen, erhoben sich zunächst Abgeordnete von Union und FDP, um stehend zu applaudieren.

Zweieinhalb Stunden später nahm Johann Wadephul die absehbare Diskussion der folgenden Tage vorweg. Der CDU-Verteidigungspolitiker war der 16. Redner nach Scholz. Er lobte dessen Ansage konkreter Zahlen, darunter auch ein „Sondervermögen Bundeswehr“ von 100 Milliarden Euro. „Nur, mir fällt auf“, so Wadephul, „dass außer dem Fraktionsvorsitzenden der Freien Demokraten bisher keine Parteivorsitzende und kein Parteivorsitzender aus den Koalitionsfraktionen, auch nicht der Fraktionsvorsitzende der SPD, diese Ankündigung begrüßt und unterstützt hat.“

Dass SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sich tatsächlich nicht sonderlich euphorisch zu Scholz‘ Plänen äußerte, passt einerseits dazu, dass er noch nie als größter Gönner der Bundeswehr galt. Andererseits dürfte er aber auch schlicht überrumpelt gewesen sein. Denn Medienberichten zufolge hatte Scholz kaum jemanden in die Vorbereitung seiner verteidigungspolitischen Kehrtwende einbezogen. Bis der Kanzler es im Bundestag aussprach, kannte laut „Zeit Online“ nicht einmal Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) das Volumen des Sondervermögens.

Doch erst nach und nach legte sich die Schockstarre bei den Überrumpelten – zunächst beim Nachwuchs. Der Co-Chef der Grünen Jugend, Timo Dzenius, zeigte sich irritiert von einem Kurswechsel „ohne jegliche politische oder gesellschaftliche Debatte“. Später ließ dann die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal via „SZ“ wissen: „Ich trage mit, dass wir eine wehrhafte Bundeswehr brauchen. Ich erkenne aber nicht, dass an dieser Stelle mehr Geld allein das Problem löst.“ Es bringe nichts, „weitere Milliarden Euro in einem schwarzen Loch zu versenken“.

Die fehlende Absprache störte offenbar noch einige mehr in der SPD. Generalsekretär Kevin Kühnert sah sich am Dienstag genötigt, zu versichern, der Plan sei binnen Tagen gereift. Er habe nicht in einer Schublade gelegen und sei daher nicht verschwiegen worden. Der „Spiegel“ berichtet jedoch von Vorlagen des Verteidigungsministeriums, die Unterhändler der Koalitionsverhandlungen demnach schon im Herbst kannten. Darin sei ein „Sondervermögen Bundeswehr“ von 102 Milliarden Euro bereits erwähnt.

Auch die Grünen haben Diskussionsbedarf. Zu den von Scholz angekündigten Waffenlieferungen an die Ukraine sagen zwar selbst Parteilinke, ihnen fehlten inzwischen Gegenargumente. Drastisch erhöhte Rüstungsausgaben aber will Co-Parteichefin Ricarda Lang an Bedingungen knüpfen, etwa an Reformen bei der Beschaffung. Man müsse darauf achten, „dass wir nicht nur mehr Geld in nicht funktionierende Strukturen pumpen“. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Hasselmann hatte schon am Sonntag angedeutet, dass sie sich nicht vor vollendete Tatsachen stellen lassen will. Der Ort der Debatte sei „hier im Parlament“.

Fehlen Scholz für seine Pläne Stimmen der eigenen Koalition, würde die Union wohl einspringen. Die hat aber schon klargemacht, dass sie dann auch beim Ausgeben mitreden will. Bewaffnete Drohnen dürften auf der Forderungsliste stehen. Die sind in der SPD aber weiter umstritten. STEFAN REICH

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