Ein Atomkraftwerk, das keinen Atommüll hinterlässt

von Redaktion

In Berlin haben Forscher einen neuen Reaktortyp entwickelt, der Endlager überflüssig macht. Ein Pilotreaktor soll bald gebaut werden.

Berlin – Ein Hinterhof im Berliner Stadtteil Wedding. Hier liegt das Büro einer Firma, die den Atomreaktor neu gedacht hat. Klein, effizient, sicher – und vor allem wenig strahlender Abfall. Das Kraftwerk soll sogar aus Atommüll Strom machen können. Die Endlagerproblematik würde dadurch deutlich einfacher.

Dual Fluid heißt das Unternehmen. Offizieller Sitz ist Kanada, doch hinter der Idee stehen Kernphysiker vor allem aus Berlin. Chef Götz Ruprecht etwa. Er trinkt aus einer „Atomkraft? Ja, bitte“-Tasse, ansonsten ist er sachlich. Warum man in einem Umfeld von Atomausstieg einen Reaktor entwickelt? Eher Zufall, sagt Ruprecht. 2010 sei ein radioaktiver Marker in der Krebserkennung knapp geworden. „Wir haben einen Weg gesucht, ihn anders herzustellen.“ Die Lösung sei dafür nicht effizient gewesen – habe sich aber als innovativer Reaktor erwiesen. Daraus entstand Dual Fluid Inc. – in Kanada, „weil die Behörden dort der Kernenergie offener gegenüberstehen“.

Dual Fluid Reactor (DFR) heißt übersetzt Zwei-Flüssigkeiten-Reaktor. Er gehört zu den sogenannten Smart Modular Reactors, an denen in vielen Ländern geforscht wird. Konkurrenten von Dual Fluid sind zum Beispiel TerraPower in den USA, an der Bill Gates beteiligt ist, Terrestrial Energy aus Kanada oder Rolls-Royce aus Großbritannien. Es gibt unterschiedliche Konzepte, etwa mit Brennstäben oder mit speziellem Salz als Kühlflüssigkeit. Gemein ist ihnen, dass sie viel kleiner sind als klassische Anlagen und in Serie hergestellt werden sollen, um die Kosten niedrig zu halten. Der Bau wird überwiegend von Staaten garantiert, etwa China oder Großbritannien. Privatinvestoren ist das Risiko zu hoch.

Der DFR hat zwei Kreisläufe: einer mit flüssigem Uran, das mit Chrom vermischt ist; der zweite mit flüssigem Blei als Kühlmittel. Blei und Uran berühren sich im Reaktor nicht. Das Blei nimmt die Wärme der Kettenreaktion auf und gibt sie über einen Wärmetauscher etwa an Wasser ab. Damit kann zum Beispiel eine konventionelle Turbine für die Stromerzeugung betrieben oder Wärme für die Industrie geliefert werden.

Befeuert wird der Reaktor direkt mit Uran – oder mit aufbereitetem Atommüll. Damit entfallen die Brennelemente-Fertigung und die Anreicherung von Uran, wie sie für klassische Brennstäbe nötig ist. „Unsere Anlage nutzt auch 100 Prozent des Urans. In heutigen Druckwasser-Reaktoren werden nur fünf Prozent genutzt, 95 Prozent sind Abfall“, sagt Ruprecht. „Eine Verschwendung.“

Die Anlage hält die Betriebstemperatur von selbst konstant: Steigt die Temperatur in der Uran-Flüssigkeit, dehnt sie sich aus, das verlangsamt die Kettenreaktion, die Temperatur sinkt wieder. Das führt dazu, dass die Anlage effizienter ist als ein klassisches Atomkraftwerk. Der Erntefaktor liegt Ruprecht zufolge bei 1000 oder mehr. Er gibt das Verhältnis an zwischen erzeugter Energie und der Energie, die nötig ist, um die Anlage zu bauen und zu warten, Uran zu schürfen, alles wieder abzureißen. Für herkömmliche Anlagen liegt er bei 100, bei Gaskraftwerken bei 28, bei Kohlekraftwerken bei 30. Wind, Photovoltaik und Biomasse liegen im einstelligen Bereich. Wegen der hohen Effizienz kann ein DFR klein sein. Die Baukosten sinken so drastisch.

Zwei Größen kann Dual Fluid sich vorstellen: Eine mit 300 Megawatt Leistung und einem Reaktor-Durchmesser von 1,2 Metern. Der Strom reicht für eine halbe Million Haushalte. Und eine mit 1,5 Gigawatt – zu der auch eine Anlage gehören soll, die automatisch alte konventionelle Brennelemente zerlegt, aufbereitet und das Uran als Brennstoff bereitstellt. Hier hat der Reaktor einen Durchmesser von gut drei Metern. Götz Ruprecht glaubt, dass die 300-Megawatt-Anlage in zehn Jahren serienreif ist.

Bleibt die Endlagerfrage: „Das Problem haben wir bei klassischen Anlagen, weil nicht alles in den Brennstäben verbrannt wird“, sagt Ruprecht. Endlagerzeit: mehrere 100 000 Jahre. „Unsere Spaltprodukte erreichen dieses Niveau schon nach etwa 300 Jahren“, so der Kernphysiker. „Ein dauerhaftes Endlager ist damit überflüssig.“

Noch gibt es den DFR nur auf dem Papier. „Wir wollen einen Demonstrationsreaktor bauen, um zu zeigen, dass die Anlage auch im echten Betrieb funktionieren kann“, sagt Ruprecht. Wo? Gespräche laufen. „Theoretisch kann das auch in Deutschland sein.“ So, wie Ruprecht es sagt, wird es eher das Ausland. Als machbare Bauzeit für den Demonstrationsreaktor nennt Ruprecht 18 Monate. Kosten: Einige Millionen Euro, einschließlich Betrieb. „Wir streben an, Mitte des Jahrzehnts testen zu können.“ BJÖRN HARTMANN

Artikel 11 von 11