Sie verblüfft sogar die Union

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER

München – Als sie fertig ist, klappt Annalena Baerbock fix ihre Mappe zusammen, zieht die Maske über und huscht so schnell vom Podium, dass der Sitzungsleiter kaum hinterherkommt. Er wirft der „geschätzten“ Deutschen noch einen formellen Dank nach. Ob sie das in der Eile hört? Man weiß es nicht. Was man aber weiß: Ihre wuchtige Rede hat im düsternen New Yorker UN-Saal Eindruck hinterlassen.

Acht Minuten lang hat die deutsche Chefdiplomatin zuvor mit allen Regeln der Diplomatie gebrochen. Sie hat Russland Lügen vorgeworfen und die Lügen gleich entlarvt. „Sie sagen, Sie schicken Friedenstruppen“, sagt Baerbock. „Ihre Panzer bringen keinen Frieden. Ihre Panzer bringen Tod und Zerstörung.“ Dann spricht sie Russlands – nicht anwesenden – Außenminister Sergej Lawrow an: „Sie können sich selbst belügen, aber uns belügen Sie nicht.“

Unerschrocken, so wird die Grünen-Politiker dieser Tage oft beschrieben. Das ist umso erstaunlicher, als sie vor einiger Zeit noch als ungeeignet galt. Mitte Dezember trauten ihr 60 Prozent der Deutschen das Außenamt nicht zu. Sie hatte keine Erfahrung, dafür einen ziemlich angeschlagenen Ruf. Plagiats-Ärger, Lebenslauf-Schummelei, eine gescheiterte Kanzlerkandidatur. Manche sahen eine Frau mit Hang zur Selbstüberschätzung („Komme vom Völkerrecht“) und seltsamen Ideen (feministische Außenpolitik). Die Realität, hieß es, werde sie schon zurechtstutzen.

Drei Monate ist Baerbock jetzt im Amt, Stand jetzt muss man sagen: Es ist Krieg, die Realität ist härter als gedacht – und die Ministerin ist an ihr gewachsen. Selbst die Union ist verblüfft. Deren außenpolitischer Sprecher Jürgen Hardt sagte nach der UN-Rede Anfang März, die Grüne vertrete Deutschland „auf der großen Bühne würdig“. Nach Baerbocks Front-Besuch in der Ost-ukraine twitterte CDU-Vizechefin Karin Prien „Chapeau“. Selbst der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke, auf Twitter sonst ein Dauernörgler über alles links der Mitte, lobpreist: „Man kann und muss an der Ampelkoalition viel kritisieren, aber vor dem, was Annalena Baerbock abliefert, ziehe ich meinen Hut.“

Die 41-Jährige ist vor allem eines: präsent. Sie reist ohne Unterlass – in die USA, nach Israel, Ägypten. Auch dorthin, wo es brenzlig wird. Als sie Anfang Februar in Helm und Schutzweste durch ein zerstörtes Dorf in der Ostukraine stapfte, war der Krieg schon nahe. Solche Bilder gab es von Amtsvorgänger und Slimfit-Anzug-Träger Heiko Maas (SPD) nicht zu sehen.

Noch ein Auftritt hat ihr neues Image geprägt: Der Antrittsbesuch beim Moskauer Kollegen Lawrow. Er gilt als klug, verschlagen, kompromisslos. Und als einer, der sein Gegenüber nach Lust und Laune herunterputzt. Baerbock scheute sich dennoch nicht, Russlands Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze als „Drohung“ zu bezeichnen. Die deutlichen Worte stachen heraus – zumal Kanzler Olaf Scholz damals noch von Nord Stream 2 träumte. Lawrow knurrte, aber er biss nicht.

„Annalena Baerbock behauptet sich“, sagt der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter. Vor allem ihr öffentliches Auftreten sei durchaus bemerkenswert – gerade im Vergleich mit ihrem direkten Amtsvorgänger. „Das ist bislang aber alles nur der Vordergrund der Bühne“, betont Falter. Ob sich das klare Wort, die große Geste der Grünen-Politikerin auch in konkrete Politik übersetzt, sei allerdings völlig offen. Eines spreche dagegen: „Die richtungsweisenden Entscheidungen werden, wie zu Merkels Zeiten, im Kanzleramt getroffen.“

Baerbock selbst dürfte am besten wissen, wie trügerisch ein Hype sein kann. Auch als frisch gekürte Kanzlerkandidatin wurde sie gefeiert, ihre Partei erstarkte, kratzte in Umfragen an den 30 Prozent – manche träumten vom Kanzleramt. Daraus wurde nichts und weil sich die Kandidatin so verstolpert hatte, argwöhnten viele, das Außenministerium sei eine Nummer zu groß.

Bisher hat sie ihre Kritiker widerlegt, trotz Kaltstart ins Amt, trotz radikalen Übergangs in die heiße Phase. Es gebe „Momente in der Außenpolitik, wo man eigentlich nur zwischen Pest und Cholera wählen“ kann, sagt sie am Sonntagabend in der ARD. Natürlich geht es um den Krieg. Selten klang ein Neuling wie sie so sehr nach „elder stateswoman“.

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