Kiew/Moskau – Der Krieg in der Ukraine wütet bereits seit knapp zwei Wochen. Währenddessen spricht Präsident Wladimir Putin bei dem Angriff auf die Ukraine von einer „militärischen Spezialoperation“. Durch ein neues russisches Mediengesetz müssen Medien sogar mit empfindlichen Strafen rechnen, wenn sie in diesem Zusammenhang die Begriffe „Angriff“, „Invasion“ und „Kriegserklärung“ verwenden. Bis zu 15 Jahre Haft drohen bei der Verbreitung von „Falschnachrichten“ über die Armee. Bei einer solchen Staatspropaganda drängt sich die Frage auf: Wie viel wissen die russische Bevölkerung und ihre Soldaten wirklich von dem Angriffskrieg auf die Ukraine?
Vergangene Woche las der ukrainische Botschafter Sergiy Kyslytsya in einer emotionalen Rede in der UN-Vollversammlung angebliche Nachrichtenverläufe zwischen einer Mutter und ihrem Sohn, einem russischen Soldaten, vor. Kyslytsya zitierte daraus: „Mama, ich bin in der Ukraine. Hier tobt ein echter Krieg. Ich habe Angst. Wir bombardieren alle diese Städte, zielen sogar auf Zivilisten.“ Nur kurz danach soll er getötet worden sein. Eine offizielle Bestätigung dieses Ereignisses gibt es nicht, jedoch häufen sich die Meldungen darüber, dass russische Soldaten bei dieser Invasion getäuscht worden sind und sich unvermittelt in einem Krieg wiedergefunden haben.
So veröffentlichte die ukrainische Nachrichtenagentur „Unian“ ein Video, in dem ein mutmaßlich russischer Gefangener bestätigt: „Wir wussten zu wenig.“ Demnach sei ihnen erzählt worden, sie würden in der Ukraine willkommen geheißen. „Ich fühle Mitleid mit den Menschen in Russland. Sie sind nicht schuldig. Ihre Schuld ist, dass sie falsch informiert sind“, erklärt der mutmaßliche Soldat auf Russisch. Ukrainischen Angaben zufolge sollen bisher mindestens 200 russische Soldaten gefangen genommen worden sein. Verhörvideos nach zu urteilen, sollen sie geglaubt haben, an einem Manöver teilzunehmen – tatsächlich seien sie aber zum Kämpfen in die Ukraine geschickt worden.
Auch russische unabhängige Medien berichten laut „FAZ“ von einem ähnlichen Vorgehen. Demnach sollen zumindest die niederen Dienstränge bis zum Schluss nichts von einer geplanten Invasion in die Ukraine gewusst haben. Auch der Osteuropa- und Militärexperte Gustav Gressel sieht auf Nachfrage des „RND“ diese Darstellung als realistisch an. „Der Kreml hat diesen Krieg vor den Soldaten geheim gehalten. Es waren im Grunde nur engste Vertraute aus dem Sicherheitsapparat und im Generalstab, die von dem Krieg gewusst haben. Der Rest wurde quasi hinters Licht geführt“, bestätigt Gressel.
Während Putin das Bild einer Armee mit stolzen russischen Soldaten zeichnet, würde eine solche Irreführung der eigenen Soldaten dieses Bild verblassen lassen. Sodass es am Ende so scheint, dass es Putins persönlicher Feldzug ist. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) findet dafür klare Worte: „Niemand brauchte diesen Krieg. Niemand wollte diesen Krieg. Wir hören das auch von vielen russischen Soldaten – die wissen noch nicht mal, dass sie in die Ukraine fahren müssen. Die denken, sie sind bei einer Übung. Dieser Krieg ist Putins Krieg“, sagte sie am Sonntag in der ARD. LEONIE HUDELMAIER