Zähes Ringen um Fluchtkorridore

von Redaktion

München – Auch am Dienstag versuchten tausende Ukrainer, aus von russischen Truppen belagerten Städten zu fliehen. Am Morgen verließen dutzende Busse mit Zivilisten die seit Tagen heftig umkämpfte Stadt Sumy. Am Montagabend waren in Sumy ukrainischen Angaben zufolge mindestens 21 Menschen bei einem russischen Luftangriff auf ein Wohngebiet getötet worden.

Russland hatte am Montagabend örtliche Feuerpausen sowie die Einrichtung von humanitären Korridoren für Zivilisten aus mehreren umkämpften Städten in der Ukraine angekündigt. Die Fluchtwege aus Kiew, Sumy, Charkiw, Mariupol und Tschernihiw sollten jedoch zumeist nach Russland oder Belarus führen. Die Ukraine lehnte diese Korridore ab.

Weiter belagert wird die strategisch wichtige Hafenstadt Mariupol. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) erklärte, die Bewohner befänden sich in einer „grauenhaften“ Lage. Es fehle an Lebensmitteln, Wasser und medizinischer Versorgung. In Mariupol wurde die vereinbarte Fluchtroute nach ukrainischen Angaben von russischen Soldaten attackiert. „Der Feind hat einen Angriff genau in Richtung des humanitären Korridors gestartet“, erklärte das Verteidigungsministerium in Kiew. Solche Aktionen seien „nichts anderes als Völkermord“. Das Außenministerium in Kiew warf Russland einen „Verstoß gegen die Waffenruhe“ vor.

Erfolgreich war am Dienstag offenbar lediglich die Evakuierung aus Sumy in die ukrainische Stadt Poltawa über einen offiziell ausgehandelten Fluchtkorridor. Dort seien am Dienstag 22 Busse sicher angekommen, erklärte ein Kiewer Regierungsbeamter am Dienstagabend. Russland kündigte für Mittwochmorgen eine weitere Waffenruhe zur Evakuierung von Zivilisten aus ukrainischen Städten an.

Hunderte Zivilisten versuchten derweil im Kiewer Vorort Irpin, sich über eine inoffizielle Route in Sicherheit zu bringen, wie AFP-Reporter berichteten. Russland hatte es nach ukrainischen Angaben abgelehnt, dort einen humanitären Korridor einzurichten. Selenskyj erklärte am Dienstag erneut, bis zum Kriegsende in der Hauptstadt zu bleiben. „Ich verstecke mich nicht und fürchte niemanden. Ich bleibe, solange es nötig ist, um diesen Krieg zu gewinnen“, sagte Selenskyj in einer am Dienstag veröffentlichten Videobotschaft. Die gesamte Regierung sei bei ihm.

International laufen die diplomatischen Bemühungen um eine Deeskalation und ein Ende des Krieges auf Hochtouren. US-Präsident Joe Biden, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Boris Johnson hatten nach einer Videoschalte am Montagabend den Rückzug der russischen Truppen gefordert. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping rief am Dienstag nach einem Videogespräch mit Scholz und Macron zur Zusammenarbeit auf. Alle Bemühungen zur friedlichen Lösung sollten unterstützt werden. Der Vatikan hatte in einem Telefonat mit dem Kreml appelliert, die Kämpfe einzustellen.

Auch neue Gespräche zwischen der Ukraine und Russland soll es geben. Selenskyj erklärte, er sei bereit, über den Status der Separatistengebiete im Osten des Landes und der von Russland annektierten Halbinsel Krim zu sprechen. Im US-Sender ABC machte Selenskyj zugleich deutlich, er werde die Unabhängigkeit der selbst ernannten „Volksrepubliken“ sowie die russische Herrschaft über die Krim nicht anerkennen. „Ich bin bereit für einen Dialog. Aber wir sind nicht bereit für eine Kapitulation.“

Aus Selenskyjs Partei „Diener des Volkes“ hieß es, man sei bereit, die Frage nach einem – in der ukrainischen Verfassung als Ziel festgeschriebenen – Nato-Beitritt aufzuschieben. Im Gegenzug soll es Sicherheitsgarantien geben, und eine Anerkennung der ukrainischen Staatlichkeit durch Russland. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow wollen sich morgen in der Türkei treffen. afp/dpa/sr

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