München – Kanzler Olaf Scholz und die westlichen Nato-Partner wollen das Verteidigungsbündnis aus dem Ukraine-Krieg heraushalten. US-Präsident Joe Biden betonte wiederholt, eine direkte Konfrontation der Nato mit der Atommacht Russland würde den dritten Weltkrieg bedeuten und sei deshalb unbedingt zu vermeiden.
Doch die osteuropäischen Nato-Partner machen Druck, sich stärker zu engagieren. Beim Besuch im umkämpften Kiew forderte der polnische Vize-Regierungschef Jaroslaw Kaczynski eine „Friedensmission“ der Nato zur Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland. „Diese Mission kann keine unbewaffnete Mission sein“, so Kaczynski, der am Dienstag mit den Regierungschefs von Polen, Slowenien und Tschechien nach Kiew gereist war. „Sie muss versuchen, humanitäre und friedliche Hilfe in der Ukraine zu leisten.“ Diese Nato-Friedensmission solle „von Streitkräften geschützt“ werden. Sie solle zudem „mit Zustimmung des ukrainischen Präsidenten und der ukrainischen Regierung“ auf „ukrainischem Territorium agieren“. Die Bundesregierung lehnt das ab: „Keinerlei Nato-Personal, keine Nato-Soldaten außerhalb der Nato oder in die Ukraine schicken.“ Dies müsse auch weiter „die rote Linie sein“, so Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Er verwies darauf, dass sich keine klare Unterscheidung treffen lasse, was „ein humanitärer Hilfseinsatz, eine Rettungsmission“ oder ein „Kampfeinsatz“ der Nato sei.
Folgende Szenarien gibt es, wie die Nato in den Krieg hineingezogen werden könnte:
Schutz für Flüchtende: Prof. Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Uni Kiel, hält Nato-Schutz für die Evakuierung von Zivilisten für realistisch. Es gehe darum, „dass Truppen der Nato oder der EU auf Bitten der ukrainischen Regierung in unbesetzte Teile der Ukraine vordringen, um dort einen humanitären Korridor zu bilden, der auch gegen Luftangriffe verteidigt werden kann“, so Prof. Krause in der „Bild“. Flugverbotszone: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat wiederholt gefordert, dass die Nato eine Flugverbotszone über der Ukraine einrichten müsse, um die Bombardierung von Zivilisten und Flüchtenden zu stoppen. Der estnische Verteidigungsminister Kalle Laanet unterstützte diese Forderung: „All diese Staaten, die eine Flugverbotszone kontrollieren können, müssen handeln“, sagte Laanet. Bundeskanzler Scholz schließt das aus: „Wir werden keine Flugverbotszonen über der Ukraine einrichten. Das würde eine direkte militärische Konfrontation mit Russland, mit russischen Kampfflugzeugen bedeuten“, bekräftigte der SPD-Politiker. „Mit US-Präsident Joe Biden, mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und den anderen Verbündeten bin ich mir einig, dass es keine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Nato und Russland geben darf.“
Einsatz chemischer oder biologischer Waffen: „Wir sind besorgt darüber, dass Russland eine Operation unter falscher Flagge inszenieren könnte, möglicherweise einschließlich chemischer Waffen“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Er bezog sich auf „absurde Behauptungen“ Moskaus über „biologische Labore und chemische Waffen in der Ukraine“. Man verfolge aufmerksam, ob Russland einen Vorwand für den Einsatz dieser Waffen zu schaffen versuche. Es habe solche Waffen schon gegen politische Gegner eingesetzt und ihren Einsatz in Syrien ermöglicht. Stoltenberg betonte , dass er in diesem Fall nicht „über eine militärische Antwort“ spekulieren wolle.
Angriff auf Nato-Staaten: Sollte Russland tatsächlich auch ein Nato-Mitglied wie Estland, Lettland oder Litauen angreifen, würde Artikel 5 des Nato-Pakts greifen, also die Verpflichtung der Nato, jedes Mitglied zu verteidigen, das angegriffen wird. Die Gefahr besteht, dass auch durch eine fehlgeleitete Rakete solch eine Eskalationsspirale ausgelöst wird. „Die Lage ist gefährlich, weil es in diesem Gebiet eine enorme Konzentration von militärischer Macht gibt“, warnte Ex-US-Verteidigungsminister Leon Panetta im „Spiegel“. „Da könnte jeder Fehler, jede Fehleinschätzung, eine fehlgeleitete Rakete diesen Krieg sehr schnell eskalieren lassen.“ KLAUS RIMPEL