Selenskyj im Bundestag

Erschreckend teilnahmslos

von Redaktion

MARCUS MÄCKLER

Es war ein Moment zum Schämen. Statt Wolodymyr Selenskyj nach dessen aufrüttelnder Rede im Bundestag zu antworten, ging das Haus, das sich sonst so gern in der eigenen Würde sonnt, lieber zur Tagesordnung über. Impfdebatte, Geburtstagsgrüße – ganz so, als habe hier nicht gerade der Mann gesprochen, dessen Land seit drei Wochen die Freiheit Europas verteidigt. So viel Anstands- und Stillosigkeit hat es im Parlament lange nicht gegeben.

Gescheitert ist die Aussprache ausgerechnet an der Ampel, für die „Respekt“ offenbar doch nicht viel mehr ist als eine kalte Polit-Floskel. Vielleicht war das, was der ukrainische Präsident sagte, aber auch einfach zu entlarvend, um sich ihm souverän zu stellen: Selenskyj sprach die deutsche Ursünde Nord Stream 2 an, kritisierte, die Wirtschaft zähle mehr als Menschenleben, und erinnerte an die historische Verantwortung Deutschlands. Ganz anders als tags zuvor im US-Kongress sprach der Präsident gestern als Enttäuschter zu einem Parlament, das die historische Dimension dieser Krise in Teilen offenbar noch immer nicht ganz verstanden hat. Statt wenigstens kurz seine Sicht der Dinge darzulegen, schwieg auch der Kanzler. Statt mutig zu sein, sendete er ein Zeichen der Teilnahmslosigkeit.

Dass dieser Regierung derart das Gespür für den Moment fehlt, ist bedrückend. Und es lässt daran zweifeln, wie ernst es Scholz und die Ampel mit der angekündigten Zeitenwende meinen. Allzu sehr scheint man sich in Berlin schon an den Krieg gewöhnt zu haben, allzu offensichtlich ersetzt die zelebrierte Betroffenheit die Tat. Dass wir Gas-Abhängigen noch immer Putins Krieg mitfinanzieren, lässt sich aber nicht wegschweigen.

Marcus.Maeckler@ovb.net

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