Das Leiden und Sterben in Mariupol

von Redaktion

VON ANDREAS STEIN UND ULF MAUDER

Mariupol – Von Rauch geschwärzte Häuserskelette, zertrümmerte und ausgebrannte Autos, geplünderte Geschäfte – in der umkämpften Hafenstadt Mariupol breitet sich das Grauen aus. Die Bilder der bombardierten Geburtsklinik und des zerstörten Stadttheaters sind allgegenwärtig. Auch ein Schulgebäude voller Zivilisten soll beschossen worden sein. Zu Tausenden harren Menschen im Lärm von Detonationen in ihren Kellern aus -– in Angst um ihr Leben. Wer kann, der flieht. Das ist gefährlich. Doch die Bilder und Videos der Flüchtlinge, die wieder Strom und Internet haben, dokumentieren die Zerstörungen in der Industriestadt am Asowschen Meer.

„Mein Haus brennt, alle zwölf Etagen“, sagte ein Mann, während er das in Flammen stehende Gebäude am Prospekt Mira – der „Straße des Friedens“ – filmt. „Kein Leben mehr.“ Dann ist nur noch ein tränenersticktes Schluchzen zu hören. Es gibt Dutzende Aufnahmen in ukrainischen und russischen Medien aus der Stadt, in der einst 440 000 Menschen lebten. Jetzt wird die Zahl der Einwohner noch auf etwa 300 000 geschätzt. Es kursieren auch Videos, die zeigen sollen, wie russische Panzer mehrstöckige Wohngebäude beschießen.

„Leider hört der Beschuss nicht auf. Es gibt ständig Straßenkämpfe“, informiert der Telegram-Kanal „Mariupol jetzt“ am Sonntag die Bürger. Es werde alles getan, um Mariupol zu evakuieren. An den Tankstellen gibt es kaum Benzin, weshalb viele ihre Autos nicht betanken können. Trotzdem sind Zehntausende unterwegs. An den Autos in einer kilometerlangen Kolonne auf dem Fluchtkorridor von Mariupol Richtung Saporischschja flattern weiße Bändchen. Auch das Moskauer Staatsfernsehen zeigt Trümmerteile, zerstörte Autos und ausgebrannte Häuser – die Kreml-Propaganda behauptet aber, ukrainische nationalistische Kämpfer hätten die Gebäude zerstört und Menschen als Geiseln genommen. Auch wenn sich der Pulverdampf gelegt haben wird, werden sich die Kriegsparteien gegenseitig verantwortlich machen für die Verbrechen – die Tötung vieler Zivilisten, darunter Kinder.

Doch jetzt harren weiter Zehntausende in Bombenkellern ohne Strom, fließend Wasser und Heizung aus – mitunter bei Minusgraden. Viele klagen über Hunger. Ein Mann sagt, er habe seit Tagen nicht einmal ein Stück Brot gehabt. Andere bereiten auf der Straße am offenen Feuer warmes Wasser, Suppen und Brei zu. In einem Video sagt ein Mann: „Trauer und Verzweiflung haben diese Erde erfasst.“

Seit Tagen verbreiten sich auch kaum überprüfbare Aufnahmen, wie Leichen in Gräben verscharrt werden. Die Behörden sprechen von mehr als 2500 Toten. 80 Prozent der Wohngebäude seien beschädigt, 30 Prozent könnten nur noch abgerissen werden. Entsetzt reagiert die Stadtverwaltung auf russische TV-Berichte, viele Bewohner Mariupols seien nach Russland geflohen. Zu sehen sind Menschen, die sich erleichtert zeigen, in Sicherheit zu sein. Die ukrainischen Behörden sprechen hingegen von Verschleppung. Bürgermeister Wadym Bojtschenko vergleicht das Vorgehen mit dem Abtransport von Zwangsarbeitern während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg: „Nicht nur, dass die russischen Truppen unser friedliches Mariupol vernichten, sie gehen noch weiter und haben begonnen, die Mariupoler aus dem Land zu bringen.“

Militärisch gilt die Lage nach knapp drei Wochen Blockade als nahezu aussichtslos. In Mariupol kämpfen vor allem die als „Neo-Nazis“ verschrienen Kämpfer des bereits 2014 in Mariupol eingesetzten Asow-Bataillons gegen russische Truppen. „Faktisch 3000 Kämpfer binden gerade eine 14 000-köpfige russische Gruppierung“, sagt der rechtsextreme Ex-Parlamentsabgeordnete Andrij Bilezkyj. Auf Hilfe aus Kiew können die Asow-Kämpfer aber nicht hoffen. Auch in den Unterlagen des US-Kongresses ist festgehalten, dass keine Waffen aus der US-Militärhilfe an die Asow-Gruppe gehen dürfen.

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