Mariupol – Ein Ende der schweren Kämpfe in der seit Wochen von russischen Truppen belagerten ukrainischen Hafenstadt Mariupol ist vorerst nicht absehbar. Ein Ultimatum der russischen Truppen an die Ukrainer, die Stadt ohne Waffen zu verlassen, lehnte die ukrainische Führung am Montag ab. Staatschef Wolodymyr Selenskyj betonte gestern Abend erneut, sich nicht auf „russische Ultimaten“ zur Beendigung des Krieges einzulassen. Moskau wolle unter anderem die „Übergabe“ der Städte Mariupol, Charkiw und Kiew durch die Ukraine erreichen, sagte Selenskyj. Dem könnten aber „weder die Menschen in Charkiw noch die in Mariupol oder Kiew noch ich, der Präsident“, nachkommen. Er kündigte an, jeder „Kompromiss“ mit Moskau werde den Ukrainern in einem Referendum zur Abstimmung vorgelegt.
Der prorussische Donezker Separatistenführer Denis Puschilin sagte dem russischen Staatsfernsehen, er gehe nicht davon aus, dass die Kontrolle über die Stadt in „zwei, drei Tagen oder sogar einer Woche“ erlangt werden könne. Die Stadt sei groß. Demnach sollen sich mehrere tausend ukrainische Kämpfer in der Stadt aufhalten. Die russische Nachrichtenseite Komsomolskaja Prawda gab die Zahl der im Krieg gefallenen russischen Soldaten offenbar kurzzeitig mit 9861 an. Unter Berufung auf das Verteidigungsministerium war zudem von 16 153 Verwundeten die Rede. Dem Journalisten Christo Grosew zufolge war die Opferzahl nach wenigen Sekunden wieder von der Seite verschwunden.
Dem ukrainischen Verteidigungsminister Olexij Resnikow zufolge binden die Verteidiger von Mariupol wichtige Kräfte der russischen Armee. „Dank ihrer Selbstaufopferung und der übermenschlichen Tapferkeit sind zehntausende Leben in der ganzen Ukraine gerettet worden. Allerdings seien mehrere Stadtviertel und der Flughafen von Mariupol nicht mehr unter Kontrolle der ukrainischen Behörden.
Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums leben noch 130 000 Bewohner in der Stadt am Asowschen Meer – einst waren es rund 440 000.
Gestern wurde erstmals auch der Beschuss der wichtigen Hafenstadt Odessa durch die russische Marine gemeldet. Auch in Kiew ging der Beschuss mit hoher Intensität weiter. Bei Raketentreffern mehrerer Gebäude und eines Einkaufszentrums sind mindestens acht Menschen getötet worden. Russlands Verteidigungsministerium erklärte, das leere Gebäude habe als Munitionslager gedient.
Russland hat nach eigenen Angaben weitere Angriffe mit der Hyperschall-Rakete „Kinschal“ (Dolch) angekündigt. „Die Angriffe dieses Luft-Raketensystems auf die ukrainische Militärinfrastruktur während der militärischen Spezial-Operation werden fortgesetzt“, hieß es . Westliche Politiker hatten sich besorgt gezeigt über den Einsatz der acht Meter langen Raketen, die extrem schnell und hoch fliegen können.
Der Vizechef des ukrainischen Präsidentenbüros, Ihor Schowka, nannte die russischen Angriffe auf Mariupol „Völkermord“. Alle 15 Minuten würden dort Raketen einschlagen, sagte er im ZDF. Nach Angaben der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora ist bei einem Angriff auf die Stadt Charkiw der Holocaust-Überlebende Boris Romantschenko getötet worden. Romantschenko sei bei einem Angriff auf sein Wohnhaus getötet worden, teilte die Stiftung unter Berufung auf Angehörige mit.
Der 96-Jährige war Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora.