Wäre die Lage nicht so bitterernst, könnte man beinahe laut auflachen über die Begründung, mit der Russlands Justiz soeben die Haft für den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny verlängert hat. Ihm wurde Betrug vorgeworfen, genauer: „Diebstahl von fremdem Eigentum durch eine organisierte Gruppe“. In einem Land, das sich seit vielen Jahren selbst an höchsten Stellen im Klammergriff der Korruption befindet, ist ein solcher Richterspruch der blanke Hohn.
Aber auf juristische Feinheiten kommt es in diesem Fall schon lange nicht mehr an. Zu offensichtlich ist das Bemühen, einen prominenten Kritiker unter Verschluss zu halten, zu plump die Terminierung im medialen Halbschatten des Ukraine-Krieges. Wer sich mit dem Putin-Regime anlegt, bezahlt dafür einen hohen Preis. In Nawalnys Fall den denkbar höchsten.
Wie beim Krieg gegen den Nachbarn kennt der Präsident auch im Umgang mit diesem Feind nur die Sprache maximaler Gewalt. Die Angriffe werden immer grausamer, die Gesetze immer strenger. In der verqueren Logik des Machtmenschen wäre es für Putin ein Sieg, wenn Nawalny das Gefängnis nie mehr verlassen würde. Auszuschließen ist das nicht. Putin übersieht dabei aber, dass der Umgang mit dem politischen Häftling Nummer eins längst weit über das Einzelschicksal hinausgeht. Der unbeugsame Nawalny ist zur Symbolfigur des Widerstands aufgestiegen. Offen ist nur noch, ob er auch zum Märtyrer wird.
Marc.Beyer@ovb.net