Späte Kanzler-Antwort auf Selenskyj

von Redaktion

VON MICHAEL FISCHER

Berlin – Es war ein Gang ans Rednerpult mit fast einer Woche Verspätung. Vergangene Woche hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Olaf Scholz per Videoschalte aus Kiew aufgefordert: „Lieber Herr Bundeskanzler Scholz, zerstören Sie diese Mauer. Geben Sie Deutschland die Führungsrolle, die Deutschland verdient.“ Da verharrte Scholz noch auf der Regierungsbank.

Seine Antwort gibt er erst gestern in der Generaldebatte im Bundestag. Dass sie so spät kommt, war nicht alleine seine Schuld. Das Parlament lehnte eine Ukraine-Debatte mit Stimmen aller Koalitionsfraktionen ab und ging ohne Pause zur Tagesordnung über. Inzwischen besteht weitgehender Konsens: Das war eine schwarze Stunde des Parlaments.

Nun antwortet Scholz: „Präsident Selenskyj, die Ukraine kann sich auf unsere Hilfe verlassen.“ Das Problem ist nur: mit Hilfe meint der Kanzler etwas anderes als der ukrainische Präsident:

Deutschland hat 1000 Panzerfäuste plus 1000 Schuss Munition, 1000 Luftabwehrraketen der Typen „Stinger“ und „Strela“, 14 gepanzerte Fahrzeuge und 23 000 Schutzhelme für den Kampf gegen die russischen Streitkräfte geliefert. Weitere Unterstützung ist geplant. Die Ukraine fordert jedoch auch schwere Waffen von Kampfpanzern über Kampfflugzeuge bis zu Kriegsschiffen.

Die Ukraine fordert eine schnelle EU-Beitrittsperspektive. Deutschland ist nicht bereit, in ein beschleunigtes Verfahren einzuwilligen.

Deutschland hat mit westlichen Verbündeten massive Sanktionen gegen Russland verhängt. Die Ukraine fordert aber die „Mutter aller Sanktionen“: den Stopp aller russischen Energie-Lieferungen.

Selenskyj will auch eine Flugverbotszone über der Ukraine. Deutschland ist dagegen, das würde ein Eingreifen der Nato bedeuten.

Scholz hat in seiner Rede vor allem eins klar gemacht: Die deutsche Hilfsbereitschaft für die Ukraine hat Grenzen. Zwei Dinge will er auf keinen Fall – ein Kriegseintritt der Nato und einen Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft. „So schwer es fällt – wir werden dem nicht nachgeben“, sagte er zur Debatte um die Flugverbotszone.

Die Abhängigkeit von russischer Energie wolle man zwar so schnell wie möglich beenden. „Dies aber von einem Tag auf den anderen zu tun, hieße, unser Land und ganz Europa in eine Rezession zu stürzen.“ Hunderttausende Arbeitsplätze und ganze Industriezweige seien dann in Gefahr. Dieses doppelte Nein wird Scholz auch auf den drei Gipfeltreffen der Nato, der G7 und der EU vertreten, die heute und morgen in Brüssel stattfinden.

Genau heute ist der Kriegsbeginn einen Monat her (siehe Seite 4). Scholz hat sich seitdem internationale Anerkennung verschafft. Die Bündnispartner sind ihm dankbar für die Rede, mit der er zu Beginn des Krieges eine „Zeitenwende“ in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik eingeleitet hat. Auch innenpolitisch ist das zunächst gut angekommen. Die Union applaudierte am stärksten, als er ankündigte, jedes Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben.

Inzwischen ist die Begeisterung geschwunden. In der Ampel-Koalition gibt es Begehrlichkeiten, das geplante Sondervermögen von 100 Milliarden Euro nicht ausschließlich für die Bundeswehr auszugeben – die Union befürchtet eine Verwässerung von Scholz’ Ansagen.

Friedrich Merz (CDU) hat zwei Bedingungen, damit die Union die notwendige Grundgesetzänderung zur Bildung von Sondervermögen mittragen werde: Die zwei Prozent müssten dauerhaft – nicht nur für ein paar Jahre – zugesagt und alles müsse für die Truppe ausgegeben werden. Zudem sei die Union nur bereit, mit ihren Stimmen zur notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit beizutragen, wenn die Koalition geschlossen dafür stimme.

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