Berlin/Kiew – Ausgebrannte Panzerwracks und Leichen in russischen Uniformen: Vier Wochen nach Kriegsbeginn ist Präsident Wladimir Putin von seinen Zielen weit entfernt – obwohl er rücksichtslos auf Wohnblocks und Industrieanlagen feuern lässt. Im Gegenteil: Die russischen Soldaten graben sich in ihren Stellungen ein und warten auf Nachschub für die „Z-Invasion“, deren Fahrzeuge mit dem Buchstaben gekennzeichnet sind.
Mindestens 6000 russische Soldaten sind schon tot, schätzen westliche Militärexperten. Wahrscheinlich sei die Zahl noch deutlich größer, vielleicht sogar im fünfstelligen Bereich. Die kremlnahe russische Zeitung „Komsomolskaja Prawda“ sprach am Wochenende von fast 10 000 russischen Soldaten, die inzwischen gefallen seien. Eigentlich hüllt sich Moskau diesbezüglich in Schweigen. Der Beitrag wurde schnell wieder gelöscht.
Mehr als 200 russische Kampfpanzer haben die ukrainischen Soldaten westlichen Analysen zufolge abgeschossen, zudem 750 Schützenpanzer, Radpanzer und gepanzerte Truppentransporter der Angreifer. Die in die Ukraine eingerückten russischen Landstreitkräfte stehen nach diesen Angaben nur noch bei etwa 80 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit. Die russischen Soldaten kommen offenbar nicht voran.
Noch zu Beginn des vergangenen Jahres hat die polnische Armee in einer Übung einen russischen Angriff auf den eigenen Staat simuliert. Dabei wurde eine groß angelegte Offensive russischer Streitkräfte zu Lande, zu Wasser und aus der Luft durchgespielt. Das Ergebnis war ein Schock: Nach fast fünf Tagen war Warschau eingekesselt, große Gebiete Polens waren in russischer Hand und der Angreifer auf dem Weg weiter in Richtung deutscher Grenze.
Der Militärexperte Michael Karl von der Bundeswehr-Denkfabrik geht davon aus, dass sich zwar die technische Modernisierung der russischen Streitkräfte unter Putin deutlich verbessert hat. „Aber was die Art der Kriegführung angeht, da hat sich nicht viel geändert. Angegriffen wird in Wellen.“ Zudem bekämpften die Ukrainer den russischen Feind aus dem Hinterhalt. Die russischen Truppen würden von allen Seiten aufgerieben.
Sorge machen international und in Deutschland die russischen Atomwaffen. „Wenn Russland nicht zumindest den symbolischen Sieg mit der Einnahme der Hauptstadt Kiew erringen kann, könnte es auf territorial begrenzte atomare Gefechtsfeldwaffen zurückgreifen“, sagt Karl. Damit seien keine Interkontinentalraketen gemeint, sondern „taktische Atomwaffen“.
Russland hat die Wehrhaftigkeit der Ukraine unterschätzt. Auf der ukrainischen Seite sind eine stärkere Integration der Streitkräfte in die eigene Bevölkerung und – vor allem – die Motivation ein Riesenvorteil. 200 000 Soldaten zählt die ukrainische Armee, dazu kommen gut noch mal so viele Freiwillige.
Hart umkämpft bleibt die Hafenstadt Mariupol. Nach Angaben der Donezker Separatisten wurde nach drei Wochen kompletter Einschließung erst etwa die Hälfte der Stadt unter russische Kontrolle gebracht. Selbst Separatistenchef Denis Puschilin zeigt sich skeptisch hinsichtlich schneller Fortschritte. Zu gut haben sich die ukrainischen Verteidiger von Nationalgarde und Marineinfanteristen in der Stadt festgesetzt.
Die US-Regierung hat den russischen Truppen gestern erstmals offiziell Kriegsverbrechen vorgeworfen. Außenminister Antony Blinken berief sich auf „öffentliche und geheimdienstliche Quellen“. In seiner Mitteilung hieß es, Putin habe „unerbittliche Gewalt entfesselt, die in der gesamten Ukraine zu Tod und Zerstörung geführt hat“. Blinken prangerte „gezielte Angriffe auf Zivilisten“ an, etwa auf „Wohnhäuser, Schulen, Krankenhäuser, wichtige Infrastrukturen, zivile Fahrzeuge, Einkaufszentren und Krankenwagen“.