Berlin – Zwei Dinge sagt Robert Habeck an diesem Freitag, aber sie passen nicht recht zusammen. Die deutsche Wirtschaft stelle sich gerade auf neue Energieimporte jenseits von Russland ein, verkündet der grüne Klima- und Wirtschaftsminister, „und das in einem Wahnsinns-Tempo“. Aber, so sagt er auch: Bis mindestens 2024 werde man noch russisches Gas hierzulande brauchen.
2024 aussteigen – das soll ein Wahnsinns-Tempo sein? Darüber gibt es selbst in Habecks Partei Differenzen. Der bayerische Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter, bis 2021 als Fraktionschef einer der wichtigsten Grünen, verlangt ein sofortiges Embargo. „Wir überweisen Tag für Tag hunderte Millionen Euro nach Moskau. Damit werden der russische Staat und sein Militärapparat am Laufen gehalten“, sagte Hofreiter dem Portal „Pioneer“: „Schluss mit Kohle, Gas und Öl aus Russland.“ Das sei technisch möglich und wirtschaftlich verkraftbar: „Ein Embargo würde zu einer mittleren Rezession führen. Zwei bis drei Prozent des BIP werden wir verlieren, ähnlich wie zu Beginn der Pandemie. Das können wir stemmen.“
Habecks Pläne sind andere. Er will mehrere Schritte, beginnend bei russischem Öl und Kohle. „Erste wichtige Etappenziele sind erreicht, um uns aus dem Klammergriff der russischen Importe zu lösen“, sagt der Vizekanzler. Schon Mitte dieses Jahres „werden die russischen Ölimporte nach Deutschland voraussichtlich halbiert sein“, zum Jahresende werde angestrebt, „nahezu unabhängig“ von russischem Öl zu sein. Die Abhängigkeit von Kohle sinke in den kommenden Wochen von 50 auf rund 25 Prozent. Bis zum Herbst könne man unabhängig von russischer Steinkohle werden.
Beim Gas sei der Prozess „anspruchsvoll“, erklärte das Ministerium angesichts eines Anteils von 55 Prozent der deutschen Gaslieferungen, die aus Russland stammen. In diesen Tagen sei der Anteil auf 40 Prozent gesunken. Möglich sei es, „bis Mitte 2024 weitgehend unabhängig“ auch von russischem Gas zu werden – etwa durch den Eil-Ausbau von Kapazitäten für Flüssigerdgas. Zum Embargo sagte Habeck, dafür sei es „zum jetzigen Zeitpunkt zu früh“. Denn dann wären „die ökonomischen und sozialen Folgen zu gravierend“.
Hilfe, auch nicht ganz uneigennützig, bieten die USA an. „Wir wollen Europa helfen, so schnell wie möglich von russischem Gas unabhängig zu werden“, sagte US-Präsident Joe Biden, derzeit auf Europareise, in Brüssel. Die USA wolle in diesem Jahr 15 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas zusätzlich liefern. „Es wird eine Weile dauern, die Lieferketten und die Infrastruktur anzupassen“, räumte Biden ein. Mittelfristig soll das dann aber auch für Wasserstoff genutzt werden.
Unterdessen werden auch in der Ampel Rufe nach einer Rückkehr zu Kohle und Kernenergie lauter. FDP-Parteivize Wolfgang Kubick forderte im „RND“, die Bundesrepublik solle sich „schnellstens von der russischen Gasversorgung lösen, um den blutigen Krieg Putins zu beenden“. Das heiße nicht nur, dass Deutschland den Aufbau von Infrastruktur für LNG (Flüssiggas) vorantreiben müsse. Sondern auch, dass Braunkohle als Energieträger wieder stärker in den Fokus genommen werden müsse. Kubicki ergänzte: „Die noch aktiven Kernkraftwerke müssen länger am Netz bleiben sowie die drei stillgelegten wieder reaktiviert werden.“