Saarbrücken/München – Um 18 Uhr herrscht rote Ekstase. Dutzende hüpfende, jubelnde Sozialdemokraten fallen sich in die Arme. Minutenlang schallen „Anke, Anke“-Sprechchöre durch den Saal. Die so besungene Anke Rehlinger setzt immer wieder an, ehe sie zu Wort kommt. „Das Saarland hat rot gewählt“, ruft sie dann in die Runde.
Rot, knallrot sogar: Die Sozialdemokratie hat sich im Saarland nach 23 Jahren wieder auf Platz 1 zurückgekämpft. Und das mit so viel Druck, dass sogar eine Alleinregierung in Reichweite ist, in Zeiten des zersplitterten Parteiensystems eine echte Besonderheit. Es hing stark an Rehlinger selbst, die 45-jährige Juristin und ehemalige Spitzensportlerin, bisher Vize-Ministerpräsidentin, ist populär im Land. Demoskopen heben in den ersten Analysen hervor, dass jeder zweite SPD-Wähler explizit wegen Rehlinger rot gewählt habe. „Gefühlt war sie schon Ministerpräsidentin“, sagen Genossen in Berlin, jetzt werde sie es bald auch offiziell.
Der echte Ministerpräsident, noch zumindest, wirkt am Wahlabend gefasst, verzichtet auf Wortgirlanden. Eine halbe Stunde nach Schließung der Wahllokale tritt Tobias Hans vor die Kameras. Innerhalb von 30 Sekunden sagt er dreimal „bittere Niederlage“. Er übernimmt die Verantwortung, räumt ein, er sei mit seinen Themen nicht durchgedrungen, kündigt einen Rücktritt wohl auch als CDU-Landeschef an. Der 44-Jährige steht vor einem Scherbenhaufen: Er war 2018 ohne Wahl ins Amt gekommen, Nachfolger der nach Berlin wechselnden Annegret Kramp-Karrenbauer, hatte schnell auch bundespolitisch das Wort ergriffen – sein Wahlkampf an der Saar misslang aber spektakulär. In der heißen Phase war Hans noch dazu wegen Corona in Quarantäne, konnte nicht durch das Land touren.
Hans’ Schicksal ist so klar, dass die CDU in Berlin auf jedes Nachtreten verzichtet. Intern war eine Niederlage schon eingepreist, allenfalls das Ausmaß überraschte. Mario Czaja, der Generalsekretär von Friedrich Merz, schickt sogar Trost nach Saarbrücken, lobt den Kampfesmut des gescheiterten Kandidaten. „Wir gewinnen zusammen, wir verlieren zusammen.“ Wobei die Verluste arg hoch sind, zweistellig auf unter 30. Und zur Vollständigkeit in Sachen „zusammen verlieren“: Für die Abschlusskundgebung hatte Merz abgesagt, Termingründe.
Die CDU wird nun wohl gar nicht mehr zum Regieren gebraucht. Rehlinger will zwar kommende Woche mal reden. Sie hat durchaus Sympathien für ein Regieren mit der CDU, hat auch am Abend schon mit Hans gesprochen. Wahrscheinlich geht es aber stabil ohne Partner. Die SPD rechnet mit 26 bis 28 der 51 Sitze im Landtag. Zumal es die Grünen, die mit internen Querelen zu kämpfen hatten, wohl nicht ins Parlament geschafft haben. Laut vorläufigem Endergebnis fehlen ihnen exakt 23 Stimmen.
Deutlicher sieht es für die FDP aus, sie rutscht im Lauf des Abends klar unter 5,0. „FDP ist nichts für Leute mit schwachen Nerven“, sagt der Bundesvorsitzende Christian Lindner. Ob der Kurs in der Pandemie die FDP Stimmen kostete? „Das weiß ich nicht“, sagt Lindner. Zwei Drittel der Saarländer waren für einen strengeren Kurs, sagen indes die Demoskopen.
Wie viel Bundespolitik nun in diesem Ergebnis steckt, ist Interpretationssache. Vor allem die Union bemüht sich, kein Merz-Fanal und keinen Ampel-Rückenwind in die Saar-Wahl zu deuten. Es folgen ja im Mai schon die nächsten umkämpften Landtagswahlen, dann in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen, beide bisher unter Unions-Führung.