„Der schönste Moment war, wenn ich von der Bühne durfte“

von Redaktion

INTERVIEW Katja Suding (FDP) spricht über den unerbittlichen Alltag in der Politik und ihren Rückzug ins Private

Katja Suding hat etwas gemacht, was es in der Politik ganz selten gibt. Mit Mitte 40 entschied die Hamburger FDP-Politikerin, sich freiwillig aus Bundestag und Parteiämtern zurückzuziehen. Statt jetzt in der Ampel zu regieren, hat sie ein Buch geschrieben. Schon der Titel sagt viel: „Reißleine“.

Frau Suding, Ihr Buch wirkt fast therapeutisch.

Das Schreiben war auf jeden Fall sehr heilsam. Als ich von einer Welt in eine andere wechselte, war es schon sehr gut, die Dinge noch einmal zu reflektieren. Das zweite Motiv für das Buch war das massive Interesse, auf das meine Entscheidung stieß. Offenbar hat es viele Menschen fasziniert, dass jemand aus freien Stücken so eine Position verlässt – zumal ich nicht wusste, was danach kommt.

Das Buch erklärt es. Offenbar haben Sie vieles von dem gehasst, was den Politik-Alltag ausmacht. Öffentliche Reden, Talkshows . . .

Ja. (lacht) Das ist ja das Verrückte. Die Öffentlichkeit gehört dazu, weil Politiker sich erklären müssen. Für die politische Katja war es großartig, so viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber für die private Katja war es fürchterlich.

Warum sind Sie überhaupt den ersten Schritt gegangen? Dachten Sie, man gewöhnt sich daran?

Ich wusste tatsächlich nicht genau, worauf ich mich einlasse. Als in Hamburg Neuwahlen ausgerufen wurden, war nicht viel Zeit zum Nachdenken. Plötzlich war ich Spitzenkandidatin. Und natürlich habe ich mich an Auftritte gewöhnt und Routine entwickelt. Aber eines hat sich nicht geändert: Der schönste Moment blieb der, wenn ich von der Bühne runter durfte.

Es gab beim Dreikönigstreffen einmal den legendären Kameraschwenk über Ihre Beine in der „Tagesschau“. Sie beschreiben, wie man das selbst gar nicht bemerkt – und danach alle Welt darüber reden.

Ich saß abends vor dem Fernseher und dachte „seltsam“, hatte aber schon krassere Dinge erlebt. Richtig groß wurde die Sache erst im Anschluss, als es eine offizielle Entschuldigung der „Tagesschau“ gab. Am nächsten Tag hatte ich die Titelseite der „Bild“-Zeitung. Rückblickend war das ein Glücksfall.

Bitte? Warum denn?

Ich konnte danach meinen Spruch anbringen: „Mit diesen Beinen springe ich über jede Fünf-Prozent-Hürde“ – und jeder hat das gebracht. Es lenkte die Aufmerksamkeit voll auf unseren Wahlkampf.

Ein spannender Widerspruch. Ihnen war die Aufmerksamkeit unangenehm, gleichzeitig haben Sie sie eingesetzt.

Als Mensch war sie mir unangenehm, als Politikerin brauchte ich sie händeringend. Der Ball lag auf dem Elfmeterpunkt, ich habe ihn reingemacht. Wir waren aus dem Bundestag geflogen, es lief nicht gut für uns. Da ist so viel Aufmerksamkeit unbezahlbar.

Da spricht ein Polit-Profi. Gleichzeitig beschreiben Sie, wie Sie sich oft überfordert gefühlt haben. Für Politiker eigentlich eine Ungeheuerlichkeit.

Politiker müssen immer funktionieren. Schwäche ist nicht erlaubt, dachte ich jedenfalls.

Warum haben Sie trotzdem weitergemacht? Von der Hamburger Bürgerschaft in den Bundestag ist ja noch mal ein Sprung.

Die politische Katja wollte, dass es eine liberale Stimme gibt. Hätten wir den Wiedereinzug in den Bundestag nicht geschafft, wäre es für die Partei ganz schwer geworden. Ich wollte meinen Beitrag leisten. Das private Unwohlsein habe ich dem untergeordnet.

Später sind Sie regelrecht physisch krank geworden.

2020 kamen Zweifel, ob ich weitermachen will, aber ich habe die Entscheidung verdrängt – und irgendwann hat der Körper sich seine Pause geholt. Ich hatte kein Burnout, keine Depression. Aber ich konnte einfach nicht mehr. Da habe ich mir zum ersten Mal in meinem Politikerleben drei Wochen Auszeit genommen. Und am Ende des Sommers war klar: Es ist vorbei. Und es fühlt sich gut an.

Sie schreiben von Ihrem Schutzpanzer. Mit Ihrem Buch streifen Sie den jetzt völlig ab. Keine Angst?

Im letzten Winter hatte ich echt Bedenken: Was mache ich denn hier? Willst du wirklich wieder ins Rampenlicht? Aber jetzt freue ich mich darauf, dass ich mich zeigen kann, wie ich bin. Das ist total erleichternd.

Interview: Mike Schier

Katja Suding

präsentiert ihr Buch „Reißleine“ (Herder-Verlag, 22 Euro) heute um 19 Uhr im Salon Luitpold in München

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