Moskau – Der Kreml hat westliche Geheimdienst-Berichte zurückgewiesen, wonach Präsident Wladimir Putin von seinen Beratern falsch über die Lage in der Ukraine informiert worden sein soll. „Dies zeigt, dass weder das US-Außenministerium noch das Pentagon echte Informationen darüber haben, was im Kreml passiert“, sagte Sprecher Dmitri Peskow. Zuvor hatten Geheimdienstvertreter der USA und Großbritanniens erklärt, Putins Berater fürchteten sich, ihm die Wahrheit über seinen „gescheiterten“ Krieg zu sagen.
Putin habe den Widerstand in der Ukraine, die Stärke der internationalen Koalition gegen ihn und die Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen unterschätzt, sagte der Direktor des britischen Geheimdienstes GCHQ, Jeremy Fleming, bei einem Uni-Vortrag im australischen Canberra. Er habe die Fähigkeit seines Militärs überschätzt.
„Wir haben gesehen, wie russische Soldaten – denen es an Waffen und Moral mangelt – sich weigern, Befehle auszuführen, ihre eigene Ausrüstung sabotieren und sogar versehentlich ihre eigenen Flugzeuge abschießen“, sagte Fleming. „Und auch wenn Putins Berater Angst haben, ihm die Wahrheit zu sagen, müssen dem Regime die Vorgänge und das Ausmaß dieser Fehleinschätzungen glasklar sein.“
Zuvor hatte bereits ein US-Regierungsvertreter von Misstrauen zwischen dem russischen Staatschef und seinem engsten Umfeld berichtet: „Wir haben Informationen, wonach Putin sich vom russischen Militär getäuscht fühlt“, sagte er. „Er wird von seinen Beratern falsch darüber informiert, wie schlecht die russischen Streitkräfte dastehen.“
Derweil sind nach der russischen Ankündigung einer Feuerpause für Mariupol die Evakuierungsbemühungen angelaufen. Kiew schickte dutzende Busse in die belagerte Hafenstadt im Süden der Ukraine, um damit Zivilisten aus der Stadt zu bringen. Die Nato erklärte, trotz der Ankündigung Moskaus sehe sie keinen Truppenrückzug um die Hauptstadt. Nach Einschätzung des ukrainischen Staatschefs Wolodymyr Selenskyj gruppieren sich die russischen Streitkräfte um, damit sie im Osten stärker angreifen können. Skepsis bleibt: Auch nach der Ankündigung der Russen, sich aus Kiew zurückzuziehen, war zuletzt nichts passiert. Das Rote Kreuz teilte dennoch mit, es bereite sich darauf vor, am heutigen Freitag die sichere Ausreise von Zivilisten aus der Stadt zu ermöglichen. Mariupol ist seit Wochen von jeglicher Versorgung abgeschnitten und wird von den russischen Streitkräften heftig beschossen. Die Stadt ist weitgehend zerstört, rund 160 000 Bewohner sollen dort festsitzen.
Russische Truppen haben nach Angaben des ukrainischen Atomkonzerns Enerhoatom aber mit dem Abzug von den besetzten Atomreaktoren Tschernobyl und Slawutytsch begonnen. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) berichtete am Abend, dass das russische Militär schriftlich die Kontrolle über das AKW Tschernobyl wieder an das ukrainische Personal übergeben habe. Die IAEA erhielt ihre Informationen von ukrainischen Behörden.