Berlin/München – Am Tag danach macht Karl Lauterbach keinen Hehl daraus, dass er getroffen ist. Dass sich im Bundestag keine Mehrheit für eine Corona-Impfpflicht fand, sei eine „klare und bittere Niederlage“, sagt er. Zum einen für ihn selbst, der zwar nicht als Bundesgesundheitsminister, aber zumindest als SPD-Abgeordneter für das Vorhaben gekämpft hatte. Zum enderen für alle vulnerablen Menschen im Land, sowie für alle, die künftig schwer an dem Virus erkranken würden. Und darüber hinaus hätten auch diejenigen verloren, die seiner Voraussicht nach im Herbst nun wieder Einschränkungen erdulden müssten. Also eigentlich alle.
Lauterbach sieht müde aus. Ohne die Impfpflicht gehe Deutschland nun zum dritten Mal nicht optimal vorbereitet in den Herbst, sagt er. Dass nach dem Sommer eine neue Corona-Welle über das Land rolle, sei nicht sicher, aber sehr wahrscheinlich. Ohne Maskenpflicht werde es dann wieder nicht gehen. Wäre die Impfpflicht beschlossen worden, wären hingegen vermutlich „mehr Freiheiten im Infektionsschutzgesetz“ möglich, sagt Lauterbach. Stattdessen gebe es nun auch mittelfristig „keinen Spielraum für weitere Lockerungen“. Der Minister trägt das alles sachlich vor. Trotzdem klingt es ein bisschen wie: Das habt ihr jetzt davon.
Dabei gibt es am Freitag durchaus Positives zu vermelden. Der Höhepunkt der aktuellen Welle sei überschritten, sagt RKI-Chef Lothar Wieler, der in der Bundespressekonferenz neben Lauterbach Platz genommen hat. Die Fallzahlen lägen zwar immer noch auf hohem Niveau. Es sei aber „sehr beruhigend“, dass die meisten Infektionen mit der Omikron-Variante mild verliefen. Das seien „sehr gute Nachrichten für uns alle“, sagt Wieler. Auch wenn es bedrückend sei, dass gleichzeitig immer noch täglich 200 bis 300 Todesfälle verzeichnet würden.
Wieler wiederholt seine Impfappelle und betont: „Die Impfung kann nicht immer vor Infektion, vor Ansteckung schützen. Wenn aber viele Menschen geimpft sind, reduziert sich auch das eigene Infektionsrisiko.“ Auch nach einer Infektion schütze die Impfung weiter vor schweren oder tödlichen Verläufen sowie vor Langzeitfolgen. „Auch wenn Sie bereits einmal infiziert waren, lassen Sie sich trotzdem impfen. So können Sie den bestmöglichen Schutz erreichen.“ Insbesondere die Auffrischimpfung sei wichtig, für vulnerable Gruppen empfahl Wieler auch dringend den zweiten Booster.
Seit Donnerstag ist klar: Viel mehr als immer wieder für die Impfung zu werben, bleibt der Bundesregierung nun nicht mehr übrig. Lauterbach will das noch einmal intensivieren – er denkt an eine neue „kreative Kampagne für die Impfung“. Dass es aber doch noch zu einer Impfpflicht kommen werde, daran glaube er nicht mehr. Er werde zwar weiter Gespräche dazu führen, sei aber sehr skeptisch, „dass wir durch zusätzliche Gespräche noch etwas erreichen können“, sagt der Minister. Die Größenordnung der Niederlage lasse es unwahrscheinlich erscheinen, „dass sich im Bundestag noch viel bewegen wird“. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erteilt einem möglichen neuen Anlauf eine Absage. „Es gibt im Bundestag keine Gesetzgebungsmehrheit für eine Impfpflicht“, sagt er. „Das ist die Realität, die wir jetzt als Ausgangspunkt für unser Handeln nehmen müssen.“