Paris – Ein letzter Blumenstrauß im Gedenken an den Algerien-Krieg, ein letzter Bummel über den Markt von Narbonne – die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen beschließt ihren Präsidentschaftswahlkampf am Freitag in Siegerlaune. Am Vorabend hat sie vor einem riesigen blauen „M“ in Perpignan ihre Anhänger eingeschworen. „Niemals war der Wechsel greifbarer als jetzt“, rief sie den Unterstützern ihrer Partei Rassemblement National zu, die Frankreich-Fahnen schwenkten und „Marine – Präsidentin“ skandierten.
„Früher habe ich für 80 Euro getankt, heute sind es 100 Euro“, sagt der 23 Jahre alte Immobilienmakler Brent van Pelt. „Le Pen ist die Einzige, die dagegen etwas unternimmt“, erklärte er. Er finde es gut, dass Franzosen bei Jobs und Wohnung bevorzugt werden sollen.
Auch Präsident Emmanuel Macron lässt sich am Freitagmorgen spontan auf einem Markt im Pariser Vorort Neuilly blicken. Er hatte zuvor Le Pen scharf angegriffen. „Ihr Sozialprogramm basiert auf Lügen, das kann sie gar nicht finanzieren“, sagte er der Zeitung „Le Parisien“. Sie vertrete ein „brutal rassistisches Programm, das darauf abzielt, die Gesellschaft zu spalten“, sagte Macron.
Zwei Tage vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahl in Frankreich werben die zwölf Kandidaten am Freitag ein letztes Mal um Stimmen. Um Mitternacht endet offiziell der Wahlkampf. Bis zur Veröffentlichung der Ergebnisse am Sonntag nach Schließung der Wahllokale um 20 Uhr herrscht dann politische Funkstille. Stellungnahmen und Umfragen sind verboten – auch wenn traditionell die Nachbarländer schon vor Ablauf der Frist Tendenzen veröffentlichen.
Nach den jüngsten Umfragen läuft es auf eine Stichwahl zwischen Macron und Le Pen am 24. April hinaus. Mehrere linke Politiker, unter ihnen die gescheiterte sozialistische Präsidentschaftskandidatin Anne Hidalgo, rufen bereits dazu auf, in diesem Fall für Macron zu stimmen. Die rechtskonservative Kandidatin Valérie Pécresse kündigte hingegen an, keine Wahlempfehlung abgeben zu wollen.
Anfang März hatte es noch so ausgesehen, als sei die Wahl gelaufen. Der Ukraine-Krieg hatte Macron um die fünf Punkte Zuwachs in den Umfragen beschert – ein Reflex des „Scharens um die Fahne“ in unsicheren Zeiten. Wozu also Wahlkampf machen? Macrons Strategie bestand darin, den Staatsmann zu geben. Nach jedem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gab es ausgiebige „Briefings“ seiner sonst so pressescheuen Berater. Während Macron von Gipfeltreffen zu Gipfeltreffen eilte und sich von den Alltagssorgen der Franzosen immer weiter entfernte, zog Le Pen durch das Land und lächelte für unzählige Selfies an der Seite ihrer Fans.
In einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage von OpinionWay-Kéa kommt Macron auf 26 Prozent der Stimmen, nach 28 Prozent vor einer Woche. Le Pen klettert um zwei Punkte auf 22 Prozent. Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon legte ebenfalls zwei Punkte zu auf 17 Prozent. Bei der Frage nach der Stichwahl verringerte sich der Abstand zwischen Macron und Le Pen demnach von zehn auf sechs Punkte (53 zu 47 Prozent). In anderen Umfragen hatte er bereits bei nur drei Punkten gelegen, was in etwa der Fehlermarge entspricht.
Dass Macrons Stimmung kurz vor der Wahl nicht allzu sonnig ist, bekam am Freitag Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki zu spüren. In einem Interview mit der Zeitung „Le Parisien“ bezeichnete Macron den Polen als „rechtsradikalen Antisemiten“. Morawiecki hatte den französischen Präsidenten für dessen Telefonate mit Putin heftig kritisiert und gesagt, es habe ja auch niemand mit Adolf Hitler verhandelt. Macron wiederum wittert in Morawieckis Attacke den Versuch, Le Pen zu unterstützen. „Seien wir nicht naiv: Heute will er ihr vor den Wahlen helfen.“