Manche Bilder verschwinden nie wieder. Ursula von der Leyen wird die Leichensäcke, vor denen sie im Kiewer Vorort Butscha stand, nicht mehr vergessen – vielleicht werden sie sogar künftige Entscheidungen prägen. Der deutschen EU-Kommissionschefin gebührt Respekt für ihre Reise, mit der sie – auch wenn Kiew und Umgebung nicht mehr im Zentrum des russischen Angriffskrieges stehen – einiges riskiert und sehr viel gewonnen hat.
Auch andere merken, dass es jetzt an der Zeit ist, Präsenz zu zeigen: der britische Premier Boris Johnson, Österreichs Kanzler Karl Nehammer – und natürlich die Regierungschefs aus Polen, Tschechien und Slowenien, die schon Mitte März mutige Vorbilder waren. Nicht dass es darum ginge, alle Spitzenpolitiker des Westens zum Trip ins Kriegsgebiet zu verpflichten. Aber auffällig ist doch, dass in Berlin bisher keine Ambitionen erkennbar sind. Nicht beim Kanzler, nur in Ansätzen beim Bundespräsidenten, der noch überlegt, wann der richtige Zeitpunkt ist. Das Zaudern der letzten Wochen setzt sich hier offensichtlich fort.
Eine kleine Fantasie: Was für eine starke Geste wäre es, würden Olaf Scholz und Emmanuel Macron jetzt gemeinsam zu Wolodymyr Selenskyj reisen. Es wäre ein untrügliches Zeichen gegenüber Moskau – und vielleicht würden sich auf Seite der Ukrainer auch einige der akuten Zweifel am Unterstützungswillen Deutschlands zerstreuen. Zu befürchten ist aber, dass der Kanzler, der Selenskyj schon im Bundestag vielsagend anschwieg, auch diese symbolträchtige Chance verstreichen lässt.
Marcus.Maeckler@ovb.net