Beleidigend sei es, dass man bei einem Künstler den Wunsch nach Frieden infrage stelle, kritisiert Tugan Sokhiev. Der russische Dirigent ist eines der prominentesten Debattenopfer – bekanntlich gab er daraufhin seinen Moskauer Chefposten, aber auch den in Toulouse auf. Die Causa zeigt, wie sehr sich (nicht nur ) die Anti-Putin-Diskussion auf geistesschlichtes Schwarz-Weiß verengt hat. Ein Checklisten-Denken, mit dem man zurzeit die Gesinnung russischer Künstlerinnen und Künstler prüft.
So berechtigt die Entlassung eines aktiven Putin-Unterstützers wie Valery Gergiev auch ist: Schon das Beispiel Anna Netrebko zeigt, dass es Grauzonen gibt. Da sind zum einen ihre sub-intelligenten Einlassungen im Internet, zum anderen zeigt sie aber eine (unglücklich formulierte) Art von Einsicht – muss deshalb eine Karriere enden?
All dies berührt einen Grundsatz unseres Zusammenlebens. Zum rechtlichen Wertesystem, das wir gegen Putin & Co. zu Recht ins Feld führen, gehört auch die Freiheit zur Nicht-Meinung. Außerdem fällt es leicht, aus dem sicheren Westen heraus Menschen zu belehren, die in einer Diktatur um Familie und Freunde fürchten müssen. Moral ist gerade wichtiger denn je – aber nicht wenn sie zur unhinterfragten Pose gerinnt.
Markus.Thiel@ovb.net