Paris – Zeit, sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen, haben Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die Rechte Marine Le Pen nicht. Denn mit ihren Erfolgen in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl ist noch nichts gewonnen. Wer trifft den aktuellen Nerv der Franzosen besser, und bei wem stimmt die Chemie? Bei der Schicksalswahl in Frankreich geht es außer um Visionen und Pläne auch um Menschliches.
Als souveräner Staatslenker auf internationalem Parkett hatte Präsident Macron den Wahlkampf bis kurz vor Schluss links liegen gelassen. Am Montag stürzt sich der 44-Jährige ins Marktplatzgetümmel, um das nachzuholen, womit Konkurrentin Le Pen seit Monaten beschäftigt ist: Zuhören, was die Sorgen und Nöte einfacher Franzosen sind.
Dass positive Regierungsbilanzen bei Arbeit oder Wirtschaft, die Zusage erster Hilfsgelder in der Krise und das Benennen von Problemen am Rednerpult nicht reichen, musste Macron beim Bad in der Menge vor der Wahl erfahren. Ein verzweifelter Mann schilderte ihm, dass er bislang ein ordentliches Gehalt gehabt und in den Urlaub habe fahren und etwas sparen können – nun aber reiche sein Geld vorne und hinten nicht mehr. Um Würde und Wahrgenommenwerden geht es auch in diesem Wahlkampf – und darum, den Menschen mehr Empathie und das Gefühl von Fürsorge zu vermitteln.
Für Macron und Le Pen ist es nicht das erste Kräftemessen. Bereits 2017 standen sie sich in der Stichwahl gegenüber. Der damalige Politikjungstar Macron, der mit seiner Bewegung La République en Marche begeisternd Aufbruchsstimmung verbreitete, besiegte die Rechte haushoch. Doch fünf Jahre Amtszeit haben Macron zugesetzt, die Umfragen sagen für dieses Mal einen knappen Wahlausgang hervor. Für die Kontrahenten heißt es daher, aus alten Fehlern zu lernen.
Die 53-jährige Le Pen hat damit bereits vor einer ganzen Weile begonnen. 2017 attestierten Beobachter Le Pen ein zu aggressives Auftreten – ständig lächelnd und um Mäßigung bemüht versucht sie seit Jahren, ihr Image zu wandeln. Im Wahlkampf stürzte sie sich auf Themen ganz nah am von der Weltlage zermürbten Bürger. Der Autor Raphaël Llorca, der ein Buch über die Strategie des rechten Lagers verfasst hat, nennt das einen „Therapie-Wahlkampf“, der die Franzosen nach einer Amtszeit der Dauerkrisen beruhigen solle.
Eine große Hürde wird für Le Pen die TV-Debatte mit dem geschickten Redner Macron sein. Vor fünf Jahren blamierte sie sich in dem Duell wenige Tage vor der Wahl kräftig. Mit guter Vorbereitung will sie nun zeigen, dass sie dem Staatsmann Macron gewachsen ist.
Für den früheren Investmentbanker gilt es jetzt, endlich Präsenz zu zeigen und sein Image des arroganten Politikers abzuschütteln. Vielleicht auch weil sein später Einstieg in den Wahlkampf und seine Abwesenheit derart missfielen, ließ er nach dem Wahlabend keine Zeit verstreichen, um sich in Frankreichs Nordosten unter die Menschen zu mengen. Le Pen und Macron wissen beide, dass sie die Wahl letztlich nur gewinnen können, wenn sie auch diejenigen offen ansprechen, die mit ihren Positionen kaum übereinstimmen. M. EVERS/V. HEISE