Spiegel beugt sich dem Druck

von Redaktion

VON SEBASTIAN HORSCH

München/Berlin – Nach Einsicht klingt das nicht so richtig. „Ich habe mich heute aufgrund des politischen Drucks entschieden, das Amt der Bundesfamilienministerin zur Verfügung zu stellen“, erklärt Anne Spiegel in ihrem Rücktrittsschreiben. Sie tue dies, „um Schaden vom Amt abzuwenden“. Selbst tritt die Ministerin am Montagnachmittag nicht mehr vor die Kameras. Es gebe auch noch andere Perspektiven für den eigenen Lebensentwurf, hatte sie in der Vergangenheit öfter gesagt. Nun könnte es für sie so weit sein.

Die Vorgeschichte: Weil die damalige Umweltministerin von Rheinland-Pfalz kurz nach der Flutkatastrophe im Sommer 2021 für vier Wochen in den Familienurlaub gefahren ist, stand sie zuletzt öffentlich stark in der Kritik. Am Sonntagabend hatte Spiegel – die von Kanzler Olaf Scholz (SPD) nach der Wahl ins Bundeskabinett geholt wurde – einen Befreiungsschlag versucht. In einem emotionalen Statement begründete sie die Reise mit familiären Gründen und hoher beruflicher Belastung. „Das war ein Fehler, dass wir so lange in Urlaub gefahren sind, und ich bitte für diesen Fehler um Entschuldigung“, sagte die 41-Jährige. Ihr Mann habe nach einem Schlaganfall im Jahr 2019 unbedingt Stress vermeiden müssen. Ihre zusätzliche Übernahme des Umweltressorts in Rheinland-Pfalz im Januar 2021 sei zu viel gewesen und haben ihre Familie „über die Grenze gebracht“. Deshalb habe sie Urlaub gebraucht. Die Abwägung zwischen ihrer Verantwortung als Ministerin und als Mutter sei ihr schwergefallen.

Die damalige Landesministerin für Familie, Integration und Verbraucherschutz hatte Anfang 2021 nach dem Rücktritt von Ulrike Höfken (auch Grüne) auch noch das Umweltministerium übernommen. Zugleich zog Spiegel als Spitzenkandidatin der Grünen in den Wahlkampf und übernahm nach der gewonnenen Wahl im März das neu zugeschnittene und größere Klimaschutzministerium in Mainz.

Während ihres Urlaubs sei sie immer erreichbar gewesen, habe Telefonate geführt und sich informiert. Wenn es einen Anlass gegeben hätte, den Urlaub abzubrechen, dann hätte sie dies getan, sagte Spiegel. Und: Anders als ursprünglich mitgeteilt, habe sie sich nicht aus dem Urlaub zu den Kabinettssitzungen zugeschaltet. Die Sitzungen seien zwar in ihrem Kalender verzeichnet gewesen. Eine Überprüfung der Kabinettsprotokolle habe aber am Sonntag ergeben, dass sie nicht teilgenommen habe.

Zum Ende des Statements passierte ihr noch ein Patzer. Spiegel drehte den Kopf zur Seite und sprach plötzlich mutmaßlich mit einem ihrer Presseleute. „Jetzt überleg ich grad noch, ob ich irgendwas… jetzt muss ich’s irgendwie abbinden“, sagte sie und setzte zu einer zusammenfassenden Entschuldigung an. Doch da das Statement live übertragen wurde, ließ sich die Passage nicht rausschneiden. Alle hörten mit. Und nicht wenige gewannen den Eindruck einer möglichen Inszenierung. Schon einmal war Spiegel damit aufgefallen, bei ihrem politischen Image nachhelfen zu wollen. In der Flutnacht im Juli 2021 soll sie einen Mitarbeiter per SMS beauftragt haben ein „Wording“ zu finden, „dass wir rechtzeitig gewarnt haben“.

Am Montag lässt Scholz über seine Regierungssprecherin noch seine guten Wünsche für Spiegel ausrichten. „Ihre Worte gestern Abend haben mich persönlich bewegt und betroffen gemacht“, schiebt der Kanzler via Twitter nach. Auch die Grünen-Vorsitzenden äußern sich knapp. Ricarda Lang und Omid Nouripour sprechen ihren Respekt für Spiegels Entscheidung aus. Ja, der Schritt zurückzutreten sei bei aller großen Härte richtig. Und nein, sie habe der Partei nicht geschadet, sagt Nouripour auf Nachfrage. Schon die dritte Journalistenfrage zielt dann bereits auf Spiegels Nachfolge ab. Es solle „zeitnah“ ein Vorschlag gemacht werden, sagt Lang.

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