Warten auf die Zeitenwende

von Redaktion

VON MICHAEL FISCHER

Berlin – Die Überraschung war groß, das Lob auch – und zwar international. Für seine Zeitenwende-Rede drei Tage nach Beginn des Ukraine-Kriegs wurde Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht nur zu Hause, sondern auch bei den europäischen Bündnispartnern gefeiert. Waffenlieferungen in einen laufenden Krieg, Aufrüstung der Bundeswehr mit einem 100-Milliarden-Vermögen, Kehrtwende in der Energiepolitik: Mit einem lauten Knall katapultierte sich Scholz nach nicht einmal drei Monaten im Amt mit an die Spitze der Unterstützer für die Ukraine. Führung statt Zurückhaltung. Das waren die Botschaften.

Aber was ist sieben Wochen danach daraus geworden? Der Jubel ist verhallt, die Erwartungen an Deutschland sind gewachsen. Und der Kanzler ringt darum, seine selbst gewählte Führungsrolle in Europa auszufüllen. „Der Zeitpunkt, zu dem Bundeskanzler Olaf Scholz der wirkliche Anführer Europas hätte werden können, ist längst verstrichen“, schreibt die liberale Zeitung „Hospodarske noviny“ aus Tschechien. Polens Vize-Außenminister Piotr Wawrzyk sagt, Deutschland sei das Land in der EU, „das die Kriegsführung in der Ukraine am schwierigsten macht“. Er wirft der Bundesregierung eine Blockadehaltung bei der Drosselung der Energie-Importe aus Russland und Zögerlichkeit bei Waffenlieferungen an die Ukraine vor. „Deutschland tut definitiv zu wenig, um der Ukraine zu helfen“, sagt Wawrzyk.

Die Waffenlieferungen sind längst in den Mittelpunkt der Diskussion über westliche Hilfe für die Ukraine gerückt. Der Grund: Die erwartete russische Großoffensive in der ostukrainischen Region Donbass. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert für die Schlacht im Donbass schwere Waffen, also Kampfpanzer, Artilleriegeschütze, Kampfflugzeuge und -hubschrauber oder Kriegsschiffe. Deutschland hat bisher – soweit es bekannt ist – vor allem Panzerfäuste, Maschinengewehre und Luftabwehrraketen in die Ukraine geschickt. Bei der Frage, ob er auch für Lieferung schwerer Waffen wäre, reagiert Scholz stets ausweichend. Er sagt weder Ja noch Nein dazu, sondern Sätze wie: „Wir werden keinen Alleingang machen. Deutschland wird nicht anders agieren als andere Länder.“

Das Problem ist, dass inzwischen nicht mehr ganz klar ist, was eigentlich die gemeinsame Linie der Nato ist. Es gibt Berichte, dass einzelne Länder bereits schwere Waffen in die Ukraine liefern. Tschechien soll mehrere Dutzend Panzer der sowjetischen Bauart T-72 sowie BMP-1-Schützenpanzer auf den Weg gebracht haben. Polen und die Slowakei haben sich grundsätzlich bereit erklärt, Kampfjets sowjetischer Bauart in die Ukraine zu liefern, was bisher von Deutschland, aber auch den USA abgelehnt wird.

Scholz wird aber nicht nur von der Ukraine und östlichen Bündnispartnern unter Druck gesetzt, sondern auch aus der eigenen Koalition. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) forderte jüngst die Lieferung schwerer Waffen offensiv ein. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai schloss sich prompt an: „Ich hoffe sehr, dass die Forderung von Frau Baerbock nicht im Sande deutscher Zuständigkeiten verläuft, sondern dass das Gerät der ukrainischen Armee nun schnell und unkompliziert zur Verfügung gestellt wird.“ Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, attestiert Scholz sogar ganz offen Führungsschwäche. „Er hat die Richtlinienkompetenz. Er muss jetzt klar sagen, was er will“, sagt die FDP-Politikerin.

Am Freitag hat Scholz angekündigt, insgesamt zwei Milliarden Euro an Rüstungshilfen für Partnerländer bereitzustellen – laut der ARD sollen davon deutlich mehr als eine Milliarde Euro direkt an die Ukraine gehen. Finanzminister Christian Lindner sagte: „Der Bundeskanzler hatte dies frühzeitig angefordert.“ Mit der Hilfe kann sich die Ukraine die Waffen kaufen, die sie benötigt – in Abstimmung mit den USA und anderen Partnern.

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