Berlin – Es ist mal wieder einer dieser Olaf-Scholz-Auftritte. Der SPD-Kanzler spricht minutenlang, doch hinterher ist nicht ganz klar, was er genau gesagt hat. Bekommt die Ukraine nun schwere Waffen aus Deutschland oder nicht? Nun, was Waffen aus eigenen Beständen angehe, stoße man inzwischen an gewisse Grenzen, erklärt Scholz schließlich. Deshalb seien die geplanten Investitionen in die Bundeswehr ja so wichtig. Man werde aber mithilfe der deutschen Rüstungsindustrie andere Nato-Länder, die eigene Waffen sowjetischer Bauart in die Ukraine liefern, bei der Beschaffung von Ersatz unterstützen. Denn sofortige Einsetzbarkeit und Verfügbarkeit seien bei den Waffenlieferungen wichtig. Zudem habe die Ukraine eine Liste mit Waffen erhalten, die die deutsche Industrie für die Kriegsführung herstellen könne. Die Kosten werde Deutschland übernehmen. „Die Ukraine hat sich nun von dieser Liste eine Auswahl zu eigen gemacht, und wir stellen ihr das für den Kauf notwendige Geld zur Verfügung“, sagt Scholz.
Gilt das auch für schwere Waffen? Darunter seien wie bisher Panzerabwehrwaffen, Luftabwehrgeräte, Munition „und auch das, was man in einem Artilleriegefecht einsetzen kann“, sagt Scholz, nachdem er zunächst nur von „Waffen mit erheblicher Auswirkung“ gesprochen hatte.
Eine trennscharfe Grenze zwischen leichten und schweren Waffen gibt es im Sprachgebrauch ohnehin nicht. Maßstab könnte der Durchmesser der Munition („Kaliber“) sein, der eine Bedeutung für die Wirkung hat, oder auch die Frage, ob die Waffe noch am Körper getragen werden kann („Panzerfaust“) oder mindestens auf einem Fahrgestell („Artilleriegeschütz“) montiert werden muss. Der KSE-Vertrag (Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa) legte 1990 Obergrenzen für die Anzahl schwerer Waffensysteme fest und nannte dabei fünf Kategorien: Kampfpanzer, gepanzerte Kampffahrzeuge, Artillerie, Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber.
Bekannt ist bisher, dass Deutschland Luftabwehrraketen, Panzerfäuste, Maschinengewehre, Schutzwesten, Helme, Nachtsichtgeräte und gepanzerte Fahrzeuge an die Ukraine geliefert hat. Insofern wäre deutsche Artillerie ein Novum. Doch bis tatsächlich solche von deutschen Unternehmen gebauten Geschütze in die Ukraine geliefert werden könnten, brauche es noch „längere Zeit“, betont Scholz im gleichen Atemzug. Er deutet zudem an, dass Deutschland bereit sei, die Lieferung von Artillerie aus den USA oder den Niederlanden in die Ukraine zu unterstützen. „Auch da sind wir bereit, das Notwendige zu tun“, sagt der Kanzler, ohne Einzelheiten zu nennen. Es könnte um die Bereitstellung von Munition oder Ausbildung gehen. Alles in allem bleibt er wieder einmal äußerst vage.
Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hat der Bundesregierung bereits im Februar eine Wunschliste vorgelegt, auf der fast alle schweren Waffensysteme stehen, die man sich vorstellen kann – vom Kriegsschiff über den Kampfpanzer bis zum Kampfflugzeug. Besonders haben es die Ukrainer nun auf Panzer, Artillerie, Luftabwehrsysteme, Kampfflugzeuge und Anti-Schiffs-Raketen abgesehen.
In der Ampel-Koalition sorgt die Frage, inwieweit Deutschland auf diese Wünsche eingehen solle für Streit. Die Grünen und die FDP haben sich für die Lieferung schwerer Waffen ausgesprochen. Die SPD ist gespalten. Politiker des linken Flügels haben sich dagegen ausgesprochen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), zählt zu den Befürwortern. Und der Bundeskanzler hielt sich bislang bedeckt. Sein Auftritt am Dienstag dürfte die vielen offenen Fragen höchstens zum Teil beantworten – auch in der eigenen Regierungskoalition.