Ständige Scholz-Kritik nervt die SPD

von Redaktion

VON MARC BEYER

München/Berlin – Für einen Vertreter der Regierungskoalition, der keinen Ministerposten innehat, ist Anton Hofreiter bemerkenswert präsent. Kein Tag vergeht, ohne dass der Grünen-Politiker einen Beitrag zur Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine leistet. Seine Haltung ist längst klar. Seine Wortwahl indes scheint stetig schärfer zu werden, je länger Olaf Scholz eine eindeutige Aussage vermeidet.

Den Regierungskurs hält Hofreiter nicht nur für diskutabel, sondern für zunehmend fatal, wie er gestern im ZDF darlegte. Das Problem sei, „dass wir bei den Sanktionen bremsen, bei den Waffenlieferungen bremsen und damit die Gefahr droht, dass der Krieg sich immer länger hinzieht“. In der Konsequenz wachse die Gefahr, „dass weitere Länder überfallen werden und wir dann am Ende in einen erweiterten de facto Dritten Weltkrieg rutschen“.

Hofreiter ist eine der prominentesten Stimmen unter den Scholz-Kritikern – und eine der schrillsten. Unverblümt kritisiert er die auch vom Bundeskanzler vertretene Meinung, Deutschland sei in seinen Möglichkeiten zu Lieferungen begrenzt, weil die ukrainische Armee nicht an den modernen Waffensystemen ausgebildet sei. „Etwas paternalistisch“ nennt der Vorsitzende des Europaausschusses diese Meinung. Er vertraue dem ukrainischen Militär, das seit sieben Wochen einer Übermacht standhalte und mit der nötigen Vorbereitung auch die westlichen Systeme zügig beherrschen könne. Das setze aber schnelle Lieferungen voraus.

Dass es in der Koalition gärt, ist längst nicht mehr zu übersehen. Auch die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die mit Hofreiter vergangene Woche in die Westukraine gereist war, hadert mit dem Regierungskurs und beklagt „zu wenig Konkretes“ im Kampf um „Freiheit und Menschenrechte“.

In der SPD sorgen die Störgeräusche zunehmend für genervte Reaktionen. Er empfinde „einzelne Bemerkungen und Auftritte aus den Koalitionsparteien“ als „bitter“, beklagt Fraktionschef Rolf Mützenich nun in einem Brief an die Abgeordneten seiner Partei. Man dürfe sich nicht beeindrucken lassen von Stimmen, „die uns und der Öffentlichkeit weismachen wollen, Deutschland komme seiner Verantwortung nicht nach“. Das Gegenteil sei der Fall: „Die Bundesregierung handelt entschlossen, umsichtig und überlegt.“ Mützenich kündigte an, dass Kanzler Scholz und die SPD-Parteivorsitzenden kommende Woche in der Fraktionssitzung mit den Abgeordneten über die Ukraine-Politik diskutieren wollten.

Erklärungsbedarf gibt es reichlich. Und selbst wenn ein namhafter Grüner wie Robert Habeck sich ausdrücklich hinter die Linie des Bundeskanzlers stellt, klingen die Vorstellungen des Bundeswirtschaftsministers konkreter und energischer als bei Scholz. In der „Rheinischen Post“ mahnte Habeck zur Eile: „Die Notwendigkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine ist nicht nur gegeben, sondern auch dringlich.“ Man setze sich in Berlin intensiv dafür ein, dass im internationalen Verbund nun „schnell und pragmatisch“ das Gerät geliefert werde, das „unmittelbar einsatzfähig ist und in dieser neuen Phase des Krieges gebraucht wird“. Schwere Waffen also.

Irritationen gibt es aber weiterhin. Laut „Bild“ hat die Bundesregierung der Ukraine den Kauf eben jener Waffen bei deutschen Rüstungskonzernen unmöglich gemacht, indem sie das Angebot im Vorfeld stark reduzierte. Das Bundesverteidigungsministerium habe auf Anordnung des Kanzleramts sämtliche schweren Waffen von einer sogenannten „Industrieliste“ gestrichen. Die von ursprünglich 48 auf 24 Seiten gekürzte Liste sei Ende März der ukrainischen Regierung übergeben worden.  mit dpa

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