Putin: Mariupol ist erobert

von Redaktion

VON ANDREAS STEIN UND ULF MAUDER

Mariupol/Moskau/Kiew – Bequem im Sessel angelehnt lässt sich Kremlchef Wladimir Putin nach zwei Monaten Krieg in der Ukraine von Verteidigungsminister Sergej Schoigu den ersten „Erfolg“ verkünden. Die lange umkämpfte Hafenstadt Mariupol sei eingenommen und unter russischer Kontrolle, verkündet Schoigu bei dem im Staatsfernsehen gezeigten Treffen am Donnerstag. Seit dem 24. Februar, als Putin zum Angriff auf die Ukraine blies, warten viele seiner Unterstützer auf etwas, das wie ein Teilsieg aussehen könnte – vor allem nach dem weltweit beachteten Untergang des russischen Kriegsschiffs „Moskwa“.

Dass der Kreuzer vor einer Woche wohl von zwei ukrainischen Raketen versenkt wurde, kratzt noch immer schwer am Stolz der Nation. Nun, eine Woche später, sieht Putin etwas verkrampft aus, als er von der „Befreiung Mariupols“ spricht. Die Nachricht soll auch den Kampfgeist der Truppe beflügeln. Die Führung in Moskau hatte seit langem beklagt, dass gerade Mariupol das Zentrum nationalistischer ukrainischer Gruppierungen und damit eine große Gefahr für Russland sei.

Diese Bedrohung sieht Putin nun gebannt – und zeigt sich als Oberbefehlshaber erstmals seit Kriegsbeginn demonstrativ großzügig. Der 69-Jährige gibt den im Stahlwerk eingekesselten ukrainischen Kämpfern noch eine Chance. Sie sollten die Waffen strecken – und sich in russische Gefangenschaft begeben.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hält Mariupol noch nicht für komplett verloren. „Die Situation ist schwierig, die Situation ist schlecht“, sagte der Staatschef. Es gebe mehrere Wege, die Stadt zu befreien. Den militärischen, aber auch einen diplomatischen.

Auch US-Präsident Joe Biden ist skeptisch, ob Russland Mariupol komplett kontrolliert. Vor allem aber werde es Putin „niemals gelingen, die ganze Ukraine zu dominieren und zu besetzen“, sagte Biden. Die USA sagten Kiew gestern weitere Waffenlieferungen im Umfang von 800 Millionen Dollar zu.

2500 Kämpfer sollen noch in den Katakomben des Stahlwerks ausharren. Die ukrainische Regierung spricht zudem von 1000 Zivilisten, unter ihnen Frauen und Kinder – und von 500 verwundeten Soldaten, die dringend medizinische Hilfe bräuchten. Unklar blieb allerdings, wie die Menschen dort rauskommen sollen. Einfach gehen lassen will Putin die Kämpfer nicht. Er untersagte zwar, das Werk zu erstürmen. Er ordnete aber zugleich an: „Blockiert diese Industriezone so, dass nicht einmal eine Fliege rauskommt“.

Von den einst 440 000 Einwohnern sollen in der Stadt am Asowschen Meer noch rund 100 000 Menschen ausharren, unter den Bedingungen einer humanitären Katastrophe. Und Putin spreche einmal mehr von „Heldentaten“ der russischen Armee, hieß es in Kommentaren in sozialen Netzwerken. Tatsächlich wies Putin auch an, die „Helden“ auszuzeichnen.

In der Stadt Borodjanka in der Nähe von Kiew sind unterdessen nach ukrainischen Angaben neun Leichen von Zivilisten gefunden worden, von denen einige Folterspuren aufweisen. Unter den Toten war demnach auch ein 15-jähriges Mädchen.

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