Verfahren gegen Palmer

Die Grünen haben sich verrannt

von Redaktion

CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

Der Fall Boris Palmer zeigt: Die einst so unangepasste Partei der Grünen hat zu wenig Toleranz für eigene Abweichler. Der Tübinger Oberbürgermeister provoziert, polemisiert, er stilisiert sich zum großen Unbequemen. Manchmal überzieht er im Ton. Doch in einigen Punkten, vor allem beim nüchternen und unverträumten Blick auf die Fehler der Migrationspolitik ab 2015, hat Palmer schlicht und einfach Recht. Den Grünen tut ein Klartexter und Praktiker wie er in dieser Frage gut, wenn sie auch für die bürgerliche Mitte wählbar sein wollen. Palmers Positionen dürfen Teil eines breiten Meinungsspektrums einer großen demokratischen Partei sein.

Das Ausschlussverfahren war falsch. Es erwies sich auch als parteistrategischer Fehlgriff: Palmer – auch im eigenen Unistädtchen umstrittener, aber letztlich erfolgreich regierender Kommunalpolitiker – kann auch parteifrei auf eine Wiederwahl hoffen. Die mit knappen Ergebnissen zitternd aufs Schild gehobene grüne Gegenkandidatin ist bei der OB-Wahl im Oktober chancenlos. Eher noch profitieren Dritte vom Streit und der grünen Spaltung. In dieser Lage ist der Vorschlag des Partei-Schiedsgerichts – Mitgliedschaft ruhen lassen, neu und grundlegend miteinander reden – ein gesichtswahrender Ausweg.

Christian.Deutschlaender@ovb.net

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