München – Es ist still gewesen um Gerhard Schröder. Der Mann, über den seit Monaten alle reden, hat sich selbst äußerst bedeckt gehalten. Nun hat der Altkanzler einer Zeitung ein großes Interview gegeben und dabei aufschlussreiche Sätze zu Wladimir Putin, dem Krieg in der Ukraine und dem Verhältnis des Westens zu Russland gesagt. Dass es sich bei dem Medium um die „New York Times“ handelt, nicht etwa um eine deutsche Zeitung, passt zu dem Eindruck, dass Deutschland und sein früherer Regierungschef inzwischen stark mitander fremdeln.
Daran dürfte sich nach diesem Interview nichts ändern. Anders als sämtliche aktuellen westlichen Regierungen wirbt Schröder dafür, die Beziehungen zu Moskau aufrechtzuerhalten. „Sie können ein Land wie Russland langfristig nicht isolieren, weder politisch noch wirtschaftlich“, sagt er. Er verweist auf Rohstoffe, die die deutsche Industrie benötige: „Es geht nicht nur um Öl und Gas, es geht auch um seltene Erden.“
Kritische Worte zu seinem engen Freund Putin gibt es von Schröder nicht. Er nennt lediglich den Krieg einen „Fehler, und das habe ich auch immer gesagt“. Auf Distanz zum russischen Präsidenten geht er aber nicht. Der Altkanzler ist vielmehr davon überzeugt, dass der Kremlchef an einer Beendigung des Krieges interessiert sei. Das sei aber nicht so leicht: „Da gibt es ein paar Punkte, die geklärt werden müssen.“ Konkreter wird er nicht. Auch die Verantwortung für Gräueltaten an Zivilisten, wie sie zuletzt in Butscha dokumentiert wurden, sieht Schröder nicht im Kreml. Er glaube, dass die Befehle von niedrigeren Stellen gekommen seien.
Schröder war im März nach Moskau gereist, sein Vermittlungsversuch blieb jedoch erfolglos. Zu diesem Zeitpunkt stand er in Deutschland, nicht zuletzt in seiner SPD, bereits massiv in der Kritik, weil er trotz des russischen Angriffskrieges weder mit Putin gebrochen noch seine lukrativen Posten in der Energiebranche des Riesenreichs aufgegeben hatte. Einen solchen Rücktritt könne er sich nur vorstellen, falls Putin dem Westen das Gas abdrehen sollte, sagt er nun. Von diesem Szenario geht er aber nicht aus.
Überhaupt scheint Schröder mit sich im Reinen zu sein. „Ich mache jetzt nicht einen auf mea culpa“, sagt er an einer Stelle. „Das ist nicht mein Ding.“ Er bot an, seine Beziehung zu Putin nochmals für einen Besuch zu nutzen, falls das gewünscht sei: „Ich habe immer deutsche Interessen vertreten. Ich tue, was ich kann. Wenigstens eine Seite vertraut mir.“
Auch in der Union ist das Verhältnis zu Russland am Wochenende ein großes Thema gewesen – mit ungleich mehr Selbstkritik als beim Sozialdemokraten Schröder. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz erklärte mit Blick auf „die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik der letzten 20 Jahre“ – die maßgeblich von Angela Merkel geprägt wurde –, man stehe nun „vor einem Scherbenhaufen“. Nach einem Ende des Krieges müsse man „sorgfältig analysieren, wie es dazu kommen konnte“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Spätestens 2014 nach der Besetzung der Krim hätte es „eine massive Sanktionierung und Isolierung Russlands gebraucht“.
Merz räumte zudem schwere Versäumnisse bei der Ausstattung der Bundeswehr ein: „Alle Verteidigungsminister der letzten 20 Jahre haben bei Ausrüstung und Zustand der Truppe falsche Entscheidungen getroffen.“ Diese Versäumnisse betreffen vor allem die Union. Bis auf SPD-Mann Peter Struck (2002–2005) trugen ausschließlich Minister von CDU und CSU die Verantwortung. MARC BEYER