Paris – Frankreichs Präsident Emmanuel Macron war am Abend seiner Wiederwahl nicht nach Feiern zumute. „Macht ihr mal Party, ich gehe wieder an die Arbeit“, sagte er nach seiner Rede am Fuß des Eiffelturms zu seinen Mitarbeitern. Er zog sich in die Zweitresidenz La Lanterne in Versailles zurück, wo er den Beginn des neuen Mandats vorbereiten wollte. Macron steht vor großen Herausforderungen in einem gespaltenen Land.
„Es gibt eine sehr starke Opposition gegen Macron, was sich bei den Parlamentswahlen zeigen wird“, sagt der Meinungsforscher Brice Teinturier. Am 12. und 19. Juni entscheidet sich, ob sich der Präsident weiter auf seine Regierungsmehrheit stützen kann – oder ob es zum ersten Mal seit 2002 wieder zu einer „cohabitation“ kommt. Dies ist der Fall, wenn die stärkste Fraktion im Parlament und der Präsident unterschiedlichen Lagern angehören.
Macrons Partei La République en Marche hat bereits begonnen, Wählerbündnisse zu verabreden, insbesondere mit den Vertretern der ehemaligen Volksparteien der Republikaner und Sozialisten. Deren Kandidaten haben bei der Präsidentschaftswahl besonders schlecht abgeschnitten, aber die Parteien sind in der Fläche noch recht gut verwurzelt. Ein Dorn im Auge dürfte Macron die neue konservative Partei Horizonte seines ehemaligen Premierministers Edouard Philippe sein, der sich bereits für die Präsidentschaftswahl 2027 in Stellung bringt.
Le Pens Partei Rassemblement National stellt derzeit nur 8 von 577 Abgeordneten. Sie hat es erheblich schwerer, Allianzen zu schmieden. Hinzu kommt, dass in der zweiten Runde nur Kandidaten zugelassen sind, für die mindestens 12,5 Prozent der eingeschriebenen Wähler gestimmt haben – eine große Hürde für kleinere Parteien.
Macron ist sich bewusst, dass ihn nur ein kleiner Teil der Wähler aus Überzeugung gewählt hat. In seiner Ansprache am Eiffelturm wandte er sich ausdrücklich an die Le Pen-Wähler und diejenigen, die nur für ihn gestimmt haben, um Le Pen zu verhindern. „Unser Land ist von Zweifeln durchdrungen und tief gespalten“, sagte er.
Der Präsident war 2017 mit dem Ziel angetreten, den Zulauf zu den Rechtspopulisten zu stoppen. Damit ist er grandios gescheitert. Le Pen hat mit 41,5 Prozent das beste Ergebnis in der Geschichte ihrer Partei erreicht. Während ihr Vater 2002 etwa 5,5 Millionen Wähler gewinnen konnte, kam sie auf über 13 Millionen Stimmen, knapp drei Millionen mehr als 2017. Sie schnitt vor allem außerhalb der Großstädte und in benachteiligten Regionen im Norden und Süden gut ab.
Le Pen hatte während des Wahlkampfs klassisch rechte Themen wie Immigration und innere Sicherheit zurückgestellt – obwohl sie in ihrem Programm durchaus vorhanden waren. Stattdessen weckte sie mit großzügigen Wahlversprechen zur Kaufkraft hohe Erwartungen, auf die Macron jetzt antworten muss.
Gleich am Tag nach der Wahl stellte Wirtschaftsminister Bruno Le Maire das Beibehalten der Preisbremse für Energie und der Tankrabatte in Aussicht. Bereits im Sommer soll ein „Gesetz zur Kaufkraft“ kommen, das unter anderem die Renten erhöhen soll. Bei Menschen dieser Altersgruppe hat Macron überdurchschnittlich abgeschnitten. Die umstrittene Rentenreform hingegen, die eine Anhebung des Renteneintrittsalters auf 64 oder 65 Jahre vorsieht, hat Macron schon mal vorsichtig auf den Herbst geschoben.
Angesichts der starken Opposition ist Macrons Handlungsspielraum deutlich enger als vor fünf Jahren. Hinzu kommt, dass im eigenen Lager bereits der Kampf um seine Nachfolge beginnt, da Macron 2027 nicht mehr antreten kann. Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, der bereits einmal in einer Vorwahl des Mitte-Rechts-Lagers Kandidat war, macht sich Hoffnungen. ULRIKE KOLTERMANN