Eine „deftige Watschn“ aus Karlsruhe

von Redaktion

VON ANJA SEMMELROCH

Karlsruhe/München – Das Verfassungsgericht schützt unbescholtene Bürger besser davor, ungerechtfertigt ins Visier des Verfassungsschutzes zu geraten. Die Karlsruher Richter gaben am Dienstag einer Verfassungsbeschwerde gegen das besonders weit gehende bayerische Verfassungsschutzgesetz in vielen Punkten statt. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kündigte an, das Urteil möglichst schnell umzusetzen. Er rechnet wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die die Verfassungsbeschwerde koordiniert hatte, damit, dass auch die anderen Bundesländer und der Bund Gesetze überarbeiten müssen. (Az. 1 BvR 1619/17)

Das bayerische Gesetz muss bis spätestens Ende Juli 2023 angepasst werden. Betroffen sind unter anderem die Regelungen zum Ausspähen und Abhören von Wohnungen, zur Online-Durchsuchung und zur Handy-Ortung, zum Einsatz sogenannter V-Leute und zu längeren Observationen. Sie verstoßen gegen Grundrechte wie das Fernmeldegeheimnis oder den Schutz der informationellen Selbstbestimmung. Bis zur Reform dürfen die Instrumente nur noch eingeschränkt eingesetzt werden. Die Befugnis, Auskunft über Daten aus Vorratsdatenspeicherung zu ersuchen, erklärte der Erste Senat für nichtig.

Ein zentraler Punkt der Entscheidung ist, dass der Verfassungsschutz bei der Überwachung mehr darf als die Polizei. Dafür gelten umso strengere Regeln, wenn es darum geht, die gewonnenen Daten an andere Behörden weiterzugeben. Im Einzelnen heißt das: . Heimliche Überwachung:

Hier reicht als Voraussetzung in der Regel ein „hinreichender verfassungsschutzspezifischer Aufklärungsbedarf“. Anders als bei der Polizei muss keine Gefahr vorliegen. Einzige Ausnahme: wenn Maßnahmen „zu einer weitestgehenden Erfassung der Persönlichkeit führen können“. Besondere Anforderungen gelten auch, wenn Unbeteiligte mit in die Überwachung geraten. In bestimmten Fällen muss künftig eine unabhängige Stelle die Maßnahme vorab kontrollieren. . Teilen von Erkenntnissen: Die Weitergabe an andere Behörden ist nur zulässig, wenn sie dem „Schutz eines besonders gewichtigen Rechtsguts“ dient. Je nachdem, welche Stelle die Daten bekommt, unterscheiden sich die Anforderungen: Eine Strafverfolgungsbehörde etwa darf nur dann Informationen vom Verfassungsschutz erhalten, wenn es um besonders schwere Straftaten geht.

Das bayerische Gesetz war 2016 auf Bestreben der CSU überarbeitet worden – auch, um die Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten und Polizei zu verbessern. Minister Herrmann hatte die Reform auch mit der wachsenden Bedrohung durch islamistischen Terror und Rechtsextremisten wie dem NSU begründet.

Bayerns Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) sagte, es seien keine Befugnisse verboten worden. Der Gesetzgeber müsse nun die Voraussetzungen konkreter regeln. Die Opposition fordert eine schnelle Reform. Die Staatsregierung müsse „Freiheit und Sicherheit in Balance bringen“, sagte FDP-Landtagsfraktionschef Martin Hagen. SPD-Fraktionschef Florian von Brunn sprach von einer „deftigen Watschn“ für die CSU.

Artikel 1 von 11