Tokio statt Peking oder Kiew

von Redaktion

VON M. FISCHER, A. LANDWEHR UND L. NICOLAYSEN

Tokio – In Deutschland ist es kurz vor 8 Uhr morgens, als Bundeskanzler Olaf Scholz mit seiner Regierungsmaschine „Theodor Heuss“ auf dem Flughafen Tokio landet. In gut einer Stunde debattiert in Berlin der Bundestag über die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine. Die Koalitionsfraktionen und die Union haben sich zwar kurz vor dem Abflug des Kanzlers auf einen gemeinsamen Antrag geeinigt, und so einen Showdown im Parlament verhindert. Trotzdem sind längst nicht alle Fragen geklärt.

Scholz hat sich trotzdem für die Reise nach Japan entschieden, bei der die An- und Abreise länger dauert als der Aufenthalt. Insgesamt 28 Stunden im Flieger für 20 Stunden vor Ort. Scholz ist es das wert. Auch jetzt, während Krieg in Europa herrscht.

Bei seinem Treffen mit Ministerpräsident Fumio Kishida nennt er die Reise „ein klares politisches Signal, dass Deutschland und die Europäische Union ihr Engagement in der Indopazifikregion fortsetzen und intensivieren wollen“. Dass der erste Weg in diese Weltregion nach Tokio führt, ist bedacht. Für die Vorgänger Angela Merkel und Gerhard Schröder war es noch obligatorisch, zuerst nach Peking zu reisen. Scholz entscheidet sich für die wirtschaftsstärkste Demokratie des Kontinents statt für den autokratischen Rivalen.

Das dürfte auch in Peking sehr genau zur Kenntnis genommen werden. Dort gilt ein Kanzlerbesuch im Moment wegen massiver Corona-Restriktionen zwar auch logistisch als extrem schwierig. Andererseits hatte Chinas Führung zu den Olympischen Winterspielen in Peking reihenweise ausländische Regierungschefs empfangen – allen voran Russlands Präsident Wladimir Putin.

Formell ist auch die G7 ein Grund für die Reise. In der „Gruppe der Sieben“ haben sich die wirtschaftsstärksten Demokratien der Welt zusammengeschlossen, zu denen auch Japan als einziges Land Asiens zählt. Deutschland hat dieses Jahr den Vorsitz und richtet im Juni den Gipfel auf Schloss Elmau aus. Besuche bei den Partnern vor einem Gipfel sind üblich.

Die G7 stimmt sich auch eng in Sachen Russland-Sanktionen ab. Japan ist eins von nur drei asiatischen Ländern, die Strafmaßnahmen gegen Moskau verhängt haben – neben Südkorea und Singapur. Scholz würdigt dies bei seinem Besuch ausdrücklich. „Von Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine an hat Japan als G7-Partner sich klar und entschieden an die Seite der Ukraine, Europas und der USA gestellt. Und das, obwohl die Ukraine von Tokio aus gesehen natürlich viel weiter entfernt ist als von Berlin.“

Waffenlieferungen hat sich Japan selbst in einer pazifistischen Nachkriegsverfassung verboten. Es ist schon ein großer Schritt für das Land, dass es erstmals einer Kriegspartei Ausrüstungen zur Verfügung stellt. Und das alles ohne größere öffentliche Diskussion wie in Deutschland.

Während Unions-Fraktionschef Friedrich Merz die Tokio-Reise zu diesem Zeitpunkt „mit äußerstem Befremden“ zur Kenntnis nimmt, gibt es Lob aus unerwarteter Richtung: vom ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk. Der Flug sei „ein gutes Zeichen, weil Japan uns als G 7-Mitglied stark unterstützt“. Eine der nächsten Reisen, so Melnyk, könne dann aber ruhig mal nach Kiew gehen.

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