Butscha – Die Fotos aus der Jablunska-Straße gehören zu den schlimmsten Bildern dieses Krieges. Was ist geschehen in Butscha, warum wurden dutzende offenkundig unbewaffnete Zivilisten erschossen? Die Ukraine und westliche Staaten warfen den russischen Streitkräften „Kriegsverbrechen“ in dem kleinen Ort vor. Russland weist alle Vorwürfe zurück und wirft den ukrainischen Behörden vor, die Morde inszeniert zu haben. Die Nachrichtenagentur AFP hat mit Angehörigen der Opfer gesprochen und Justiz- sowie Polizeiquellen ausgewertet, um das Schicksal von drei der Toten nachzuvollziehen.
Mykhailo Kovalenko, erschossen an einem Kontrollposten: Der 62-Jährige versuchte am 5. März, mit Frau und Tochter aus Butscha zu fliehen. Als die Familie an einen russischen Kontrollposten in der Jablunska-Straße kam, sei Kowalenko „mit erhobenen Händen“ aus dem Auto gestiegen, berichtet Artem, der Freund von Kowalenkos Tochter. Trotzdem hätten die Soldaten das Feuer eröffnet. Kowalenkos Frau und Tochter konnten sich retten, indem sie wegrannten. Der Leichnam des 62-Jährigen blieb 29 Tage lang in der Jablunska-Straße liegen. Der elegant gekleidete Mann, der klassische Musik und Spaziergänge mit seinem Hund liebte, wurde anhand seiner Kleidung von Angehörigen auf einem Foto erkannt. „Es war furchtbar“, sagt Artem, der am 18. April Kowalenkos Leiche im Leichenschauhaus identifizierte.
Mychailo Romaniuk, der Mann auf dem Fahrrad: Die Leiche des 58-Jährigen wurde auf dem Rücken liegend und unter seinem Fahrrad gefunden. „Wir sind zusammen losgefahren, aber ich bin alleine zurückgekommen“, erzählt Oleksandr Smagljuk. Die Augen des 21-Jährigen blicken starr ins Leere, als er vom 6. März berichtet. Am Morgen wollten Mychailo Romanjuk, genannt Myschka, und Oleksandr, der Freund von Myschkas Nichte, mit dem Fahrrad zum vier Kilometer entfernten Militärkrankenhaus Irpin fahren. Sie wollten Oleksandrs verletzten Vater besuchen. Sie waren noch 500 Meter vom Krankenhaus entfernt, als die Schüsse fielen. „Wir haben niemanden gesehen“, sagt Oleksandr. „Ich habe nur die Schüsse gehört und gesehen, wie Myschka gestürzt ist.“ Er selbst sei dann mit seinem Fahrrad in eine kleine Gasse geflohen. 28 Tage lang blieb Romanjuks Leiche auf dem Bürgersteig liegen.
Maksym Kiriv, „der Furchtlose“: Seine Leiche wurde mit dem Gesicht nach unten an einem Kreisverkehr gefunden. Daneben lagen zwei weitere Leichen, einer davon waren die Hände mit einem weißen Stoffstreifen auf dem Rücken gefesselt, den viele Ukrainer verwenden, um sich als Zivilisten kenntlich zu machen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der 39-jährige Bauarbeiter überlebt, indem er in Kellern Zuflucht suchte, sagt seine Bekannte Iryna Schewtschuk. „Alle nannten ihn ,Maksym, den Furchtlosen‘“, da er stets bereit gewesen sei, anderen zu helfen und Besorgungen zu machen. Am 17. März verließen er und ein weiterer Mann ihren Unterschlupf. Kiriejew wollte Kleidung zum Wechseln holen. Er kam nie zurück.