Ein Gedenktag mitten im Krieg

von Redaktion

VON LEONIE HUDELMAIER

München – Bereits an dem Tag, an dem der russische Angriffskrieg auf die Ukraine begann, wandte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit einer Fernsehansprache an die deutschen Bürger. „Putin wird nicht gewinnen“, sagte Scholz damals mit Nachdruck. 75 Tage später wütet der Krieg in der Ukraine weiter. Und wieder wandte sich der Kanzler mit einer TV-Ansprache an die Menschen. An einem bedeutsamen Tag für Deutschland und die ganze Welt – dem Gedenktag zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Scholz’ klare Botschaft ist dieses Mal: Nie wieder. „Aus der katastrophalen Geschichte unseres Landes zwischen 1933 und 1945 haben wir eine zentrale Lehre gezogen, sie lautet: nie wieder. Nie wieder Krieg. Nie wieder Völkermord. Nie wieder Gewaltherrschaft.“

Deswegen sei es für ihn „ein 8. Mai wie kein anderer“, denn „es herrscht wieder Krieg in Europa“, sagte Scholz. Die Unterstützung der Ukraine gründe deswegen aus der historischen deutschen Verantwortung. Für die momentane Situation könne dies nur bedeuten: „Wir verteidigen Recht und Freiheit – an der Seite der Angegriffenen.“

Gleicher Anlass, andere Szenerie: Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj überbrachte eine emotionale Videobotschaft an sein Land – aus dem zerstörten Kiewer Vorort Borodjanka. Selenskyj erinnerte ebenfalls an das Ende des Zweiten Weltkriegs und zog gleichzeitig Parallelen zwischen Deutschland damals und Russland heute: „In der Ukraine haben sie eine blutige Neuauflage des Nazismus organisiert“, sagte Selenskyj in dem Schwarz-weiß-Video, aufgenommen vor den Trümmern eines Hauses.

Als Zeichen der deutschen Solidarität ist Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) gestern nach Kiew gereist. Dort gedachte sie gemeinsam mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Ruslan Stefanchuk den Opfern des Nationalsozialismus. Es sei „ein großer Schritt“, dass sie an jenem Tag in die Ukraine eingeladen wurde, erklärte die Bundestagspräsidentin gestern. Bas ist die erste hohe Repräsentantin Deutschlands, die in das Kriegsgebiet gereist war und sich mit Präsident Selenskyj traf.

Für Überraschung sorgten gleich zwei weitere Besuche. Sowohl die First Lady der USA, Jill Biden, als auch der kanadische Premier Justin Trudeau sind gestern zu einem unangekündigten Besuch in die Ukraine gereist. Biden besuchte in der Stadt Uschhorod eine Flüchtlingsunterkunft und traf auf die ukrainische Präsidentengattin Olena Selenska. Trudeau wurde in dem vom Krieg gezeichneten Kiewer Vorort Irpin empfangen und kam ebenfalls mit Selenskyj zusammen.

Als Zeichen des internationalen Zusammenhalts an diesem symbolträchtigen Tag vereinbarten gestern alle G7-Staaten gemeinsam den Ausstieg aus russischem Öl. Mit der Einstellung der Importe von Russlands Öl wolle man die „Hauptschlagader der Wirtschaft“ treffen, wie das Weiße Haus noch vor der russischen Feierlichkeit zum „Tag des Sieges“ mitteilte. Denn am heutigen 9. Mai feiert Russland den Sieg der Sowjetunion über Nazi-Deutschland. Mit Spannung erwartet die Welt, was Wladimir Putin dabei verkünden wird. Westliche Beobachter halten es für möglich, dass er der Ukraine offiziell den Krieg erklärt oder eine Generalmobilmachung verkündet.

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