Ernüchternde Bilanz für Putin

von Redaktion

VON LEONIE HUDELMAIER

Moskau – Was passiert in den Bunkern und Gängen des belagerten Stahlwerks? Die Welt schaut auf Mariupol. In der ukrainischen Hafenstadt haben sich russischen Angaben zufolge seit Wochenbeginn 959 ukrainische Kämpfer aus dem belagerten Azovstal-Werk ergeben. Unter ihnen seien 80 Verletzte, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Alleine in den vergangenen 24 Stunden hätten sich knapp 700 Menschen in russische Gefangenschaft begeben. Von ukrainischer Seite gab es zunächst keine Bestätigung.

Die Ukraine hofft auf einen Austausch gegen russische Kriegsgefangene, Russlands Militär ließ einen solchen Schritt aber zunächst offen. Wie viele Kämpfer sich aktuell noch auf dem Werksgelände aufhalten, war unterdessen unklar. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge sollen es vor Beginn der Evakuierung zwischen 1000 und 2500 gewesen sein. Die letzten Zivilisten waren vor rund eineinhalb Wochen in Sicherheit gebracht worden.

Derweil dürfte Russlands Bilanz nach zwölf Wochen Angriffskrieg auf die Ukraine insgesamt ernüchternd ausfallen. Abzug aus Kiew und Charkiw, zerstörte russische Artillerie und enormer Widerstand des ukrainischen Militärs. Jetzt haben die russischen Streitkräfte laut britischem Verteidigungsministerium auch noch erhebliche Probleme beim Nachschub und der Truppenverstärkung. Deswegen müsse sogar auf Hilfstruppen ausgewichen werden. Putin setzt dabei etwa auf tausende Kämpfer aus der autonomen Teilrepublik Tschetschenien. „Der Kampfeinsatz so unterschiedlichen Personals zeigt die erheblichen Ressourcenprobleme Russlands“, heißt es aus London. Dies trage wohl zu einem uneinheitlichen Kommando bei – was die russische Invasion behindere.

Als für Russland unangenehme symbolische Geste eröffneten die USA ihre Botschaft in Kiew wieder, die drei Monate lang nach Lemberg im Westen verlegt war. Die US-Fahne wurde wieder feierlich gehisst.

Auch der rund zehnwöchige Kampf um Mariupol soll zu hohen Verlusten der russischen Streitkräfte geführt haben. Doch Russland gibt sich im Hinblick auf eigene Verluste auffällig zugeknöpft. Am 25. März meldete Moskau 1351 tote Soldaten. Seither herrscht Schweigen. Die ukrainische Regierung spricht von 27 000 toten russischen Kräften. Obwohl die Zahl laut westlicher Experten zu hoch gegriffen ist, gehen sie davon aus, dass es inzwischen mehr sind als die 15 000 getöteten Sowjetsoldaten während der zehnjährigen Besatzung in Afghanistan. Laut britischem Verteidigungsministerium habe Russland bereits ein Drittel der für den Ukraine-Krieg bereitgestellten Truppen eingebüßt – das würde einen Verlust von rund 50 000 Soldaten durch Tod oder Verletzung bedeuten. Russland selbst hat gestern Schwierigkeiten und Fehler eingeräumt – aber gleichzeitig eine Fortsetzung der Kämpfe angekündigt.

Währenddessen schnürt die Europäische Union gemeinsame Sanktionspakete, die Russland empfindlich treffen dürften, und das Militärbündnis Nato bekommt Zuwachs. Doch anstatt neue Drohungen auszusprechen, spielt Russlands Außenminister Sergej Lawrow den geplanten Nato-Beitritt zweier Länder herunter. Da sich Finnland und Schweden bereits an vielen Nato-Übungen beteiligt haben, mache es „wahrscheinlich keinen großen Unterschied“.

Im russischen Staatsfernsehen hat derweil ein Militärexperte die Zuschauer einer Talkshow mit einer pessimistischen Bewertung des Ukraine-Kriegs überrascht. Die ukrainischen Streitkräfte seien weit vom Zerfall entfernt und Russland in der Welt isoliert, sagte Michail Chodarjonok – sehr zum Missfallen der Moderatorin

Gleichzeitig gibt es immer wieder Gerüchte über einen Putsch gegen Wladimir Putin. So hat der ukrainischer Geheimdienstchef Kyrylo Budanow dem britischen Sender Sky erklärt: „Sie bewegen sich darauf zu, nichts wird sie stoppen.“ Beweise gibt es dafür nicht.  (mit dpa)

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