STEFAN SESSLER
Ja, ein Weißbier im Biergarten für 5,30 Euro ist ein Ärgernis. Ja, eine Drei-Zimmer-Wohnung geschweige denn ein Haus ist für ein Großteil der Menschen in München und der Region unbezahlbar. Ja, das Tegernseer Tal ist an manchen Wochenenden so überlaufen wie der Markusplatz in Venedig; vom Walchensee wollen wir gar nicht erst sprechen. Ja, es gibt genug zu Schimpfen über Oberbayern. Keiner ist perfekt, auch nicht unsere Heimat.
Aber bei alledem darf man nicht vergessen, in was für einer außergewöhnlichen Region wir leben. Sie ist weltweit einzigartig – Hightech-Unternehmen sind hier genauso daheim wie Almbauern. Es ist sicher, aufgeräumt und vielerorts fast schon postkartenkitsch-mäßig schön. Es wird Bairisch gesprochen, aber auch Englisch, Spanisch und zum Schrecken mancher Dialektpfleger sogar Hochdeutsch. Menschen aus aller Welt zieht es ins gelobte Speckgürtel-Land – angelockt von gut bezahlten Jobs, Bergtouren am Wochenende und Bier aus international gesehen waghalsig großen Krügen. Es ist eine Gegend, in der das Leben narrisch viel Spaß machen kann.
Trotzdem darf sich dieses weiß-blaue Wunderland nicht auf seinem Ruhm ausruhen. Es ist nicht nur ein Ort für die Reichen, Studierten, die Urlauber und die Jungen. Es muss Heimat für alle bleiben. Für die Krankenschwester, den Polizisten und die Rentnerin. Dazu braucht es günstige Wohnungen, Landärzte, gut ausgebauten Nahverkehr, Kindergartenplätze, bezahlbare Energie, Digitalisierung – und Menschen mit Mut, die anpacken und Tradition in die Moderne überführen. Der Staat nicht alles regeln kann und soll.
Stefan.Sessler@ovb.net