Kiew/München – Die Böden sind übersät mit Holzsplittern und Trümmerteilen. Bilder der ostukrainischen Region Donezk zeigen von Granaten getroffene Wohnräume und ganze Wohnhäuser, die in Schutt und Asche liegen. Dass dort einmal Leben stattgefunden hat, ist nur noch schwer vorstellbar.
Genau in dieser Region hat im März auch Alexander Ketov (Foto) – wie viele andere Menschen im umkämpften Donbass – ein Familienmitglied verloren. Seither trauert er um seinen älteren Bruder Evgeny.
Die Situation im Osten der Ukraine ist bereits seit acht Jahren äußerst angespannt. Doch seit Beginn des russischen Angriffskrieges am 24. Februar hat sich die Situation im Donbass weiter verschärft. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj findet dafür keine andere Umschreibung als „die Hölle“. „Die Besatzer versuchen, den Druck im Donbass weiter zu erhöhen. Es ist die Hölle, und das ist keine Übertreibung“, sagte Selenskyj in seiner jüngsten Videoansprache.
Der Donbass, zu dem die Regionen Donezk und Luhansk gehören, kann als Ursprung des Kriegs in der Ukraine gesehen werden. Bereits im April 2014 riefen pro-russische Separatisten dort die unabhängigen „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk aus. Gewaltsam versuchten die Separatisten, die Gebiete von der Ukraine loszulösen – unterstützt vom russischen Militär. Vor drei Monaten, am 21. Februar, erkannte der russische Machthaber Wladimir Putin diese Gebiete dann als eigenständige Staaten an und schickte russische Truppen dorthin. Drei Tage später begann der Angriff auf die Ukraine.
Und noch immer halten die Kämpfe im Donbass an. Nach Angaben des Gouverneurs der Region Donezk, Pawlo Kyerylenko, wurden am Donnerstag bei weiteren Angriffen fünf Zivilisten getötet. In der Region Luhansk sind Sewerodonezk und Lysytschansk, die letzten zwei Städte unter ukrainischer Kontrolle, nahezu umzingelt und werden heftig bombardiert, wie die Agentur AFP berichtet. Laut den Behörden in Luhansk sind zwölf Tote und 40 Verletzte zu beklagen.
An der Grenze zum Donbass gibt es demnach auch heftige Kämpfe kurz vor der Kleinstadt Bachmut. Diese gilt als ein weiteres strategisches Ziel der russischen Angriffe. Erfolge hätten die russischen Truppen jedoch wenige erzielt, heißt es in einem Lagebericht der Ukraine. Insgesamt sollen 14 Attacken in Donezk und Luhansk abgewehrt worden sein.
Moskau zeichnet indes in seiner für den Kreml schleppend verlaufenden Offensive ein anderes Bild: „Die Befreiung der Volksrepublik Luhansk ist fast abgeschlossen“, sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Freitag im Staatsfernsehen.
Dazu passten die Nachrichten, die Moskau am Freitagabend über die Hafenstadt Mariupol verbreitete. Das Verteidigungsministerium erklärte, alle Kämpfer in dem belagerten Stahlwerk Azov-stal hätten sich ergeben. Das Werk war der letzte Teil von Mariupol, der noch nicht komplett unter russischer Kontrolle gewesen war. Am Freitag kam nach Angaben des Ministeriums die letzte Gruppe von 531 Kämpfern in Gefangenschaft. Der Kommandeur des Asow-Regiments sei in einem speziellen gepanzerten Fahrzeug abtransportiert worden.
Während sich die Angriffe nun immer stärker auf den Osten fokussieren, bleibt die Frage nach einer diplomatischen Lösung offen. Im März war Selenskyj noch kompromissbereit: Er sei bereit, über die annektierte Krim und die Separatisten-Gebiete im Donbass zu sprechen, sagte er damals. Nach den Kriegsverbrechen in Butscha und den massiven Angriffen ist dieses Angebot offenbar vom Tisch. Anfang dieser Woche haben beide Länder ihre Verhandlungen auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. mit dpa