Berlin – Früher Feindbild, heute Partner: Schwarz-grüne Bündnisse haben in Deutschland Aufwind. In Nordrhein-Westfalen machen CDU und Grüne Tempo für das erwartete erste schwarz-grüne Bündnis im bevölkerungsreichsten Bundesland. Auch Schleswig-Holstein steuert auf ein solches Zweierbündnis zu. In Hessen und Baden-Württemberg funktionieren Koalitionen zwischen CDU und Grünen schon seit Jahren. Für die Union im Bund ist Schwarz-Grün ein neuer Hoffnungsschimmer.
Für CDU-Vorstandsmitglied Serap Güler ist Schwarz-Grün bereits die „Koalition der Zukunft“. „In der aktuellen Situation wäre eine schwarz-grüne Koalition im Bund definitiv besser für das Land als die Ampel“, sagte die einstige NRW-Integrationsstaatssekretärin der „Rheinischen Post“. Der Politik-Wissenschaftler Karl-Rudolf Korte sieht zwar auch die „Zeit reif“ für Schwarz-Grün als „neue Bürgerlichkeit in der Mitte“. Er schränkt aber ein: „Ob das ein Modell ist für die kommende Bundestagswahl, das wäre viel zu weit gegriffen.“ Koalitionspolitisch sei NRW manchmal Vorreiter für den Bund gewesen. Aber noch nie habe es in NRW eine „lagerübergreifende“ Koalition gegeben. „Das wäre die allererste.“ Immerhin: CDU-Bundes-chef Merz wird ein gutes Verhältnis zu den im Volk beliebten Grünen-Bundesministern Robert Habeck und Annalena Baerbock nachgesagt.
Etwas anders ist es in Bayern: CSU-Chef Markus Söder versteht sich zwar gut mit Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann. Von dessen Kollegin Katharina Schulze ist er jedoch eher genervt – was auf Gegenseitigkeit beruht. Für die Grünen scheidet eine Koalition unter Söder quasi aus – anders könnte es jedoch aussehen, wenn nach einer schwachen Landtagswahl plötzlich Ilse Aigner oder Manfred Weber an der Spitze der CSU stünde.
So weit aber ist es noch nicht. Zunächst einmal müssen andere Länder das schwarz-grüne Modell testen:
Nordrhein-Westfalen: Am Sonntag wollen CDU und Grüne über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheiden – die Zeichen dafür stehen gut. Zwei fast gleichaltrige und pragmatische Spitzenpolitiker führen die Parteien an: Ministerpräsident Hendrik Wüst (46) hat sich schon früh das grüne Kernanliegen eines vorgezogenen Kohleausstieges bis 2030 selbst auf die Fahnen geschrieben. Grünen-Landeschefin Mona Neubaur (44) baut seit Jahren Brücken zu Wirtschaft und Industrie. Sie gilt als ausgleichend – und als kommunikationsstark.
Dennoch halten sich die Grünen auch eine mögliche Ampel mit den Wahlverlierern SPD und FDP offen. Sie wollen nicht um jeden Preis die politische Ehe mit der CDU eingehen. Auch Neubaur sagt: „Wir sind uns bewusst, dass die jetzt folgenden Gespräche keine einfachen werden und von allen Beteiligten zum Teil weite Wege verlangen.“ Besonders bei der Inneren Sicherheit tun sich noch Gräben auf. Die CDU will die Law-and-Order-Politik des beliebten Innenministers Herbert Reul fortsetzen.
Schleswig-Holstein: CDU und Grüne im Norden kennen sich aus fünf Jahren Jamaika-Koalition gemeinsam mit der FDP. Als CDU-Ministerpräsident Daniel Günther das Projekt 2017 in Angriff nahm, war die Skepsis auf beiden Seiten groß. Heute sprechen bei Union und Grünen alle Führungskräfte von einem guten und vertrauensvollen Miteinander. Das soll jetzt mit Schwarz-Grün pur auf eine neue Ebene gebracht werden. Für Günther (48) ist das Projekt schwarz-grün eine Herzensangelegenheit. Es entspricht seiner Sicht auf eine moderne CDU. Schleswig-Holstein soll Vorreiter der Energiewende in Deutschland sein und bleiben.
Hessen: Hessen war 2014 das erste deutsche Flächenland mit einer schwarz-grünen Regierungskoalition. Dass dies gelang, daran hat der scheidende CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier einen großen Anteil.
Baden-Württemberg: Vor elf Jahren durchbrach Winfried Kretschmann die jahrzehntelange Dominanz der CDU im Südwesten und wurde erster grüner Ministerpräsident in Deutschland. Seit 2016 regiert er mit der CDU als Juniorpartner. Der 74-Jährige ist für die Union Fluch und Segen zugleich. Der wertkonservative Landesvater macht der CDU im reichen Autoland die Wähler abspenstig, aber das Regieren mit ihm ist für die Christdemokraten immerhin erträglich.